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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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Andalucía, mi amor
    Der Bauch von Nicole, der Chefin vom Dienst, scheint jeden Moment platzen zu können. Wie jeden Freitagvormittag sitzt sie aufrecht auf ihrem Stuhl und
verteilt mit fester Stimme die Themen für die nächste Woche. Ich kann meinen Blick nicht von ihrem Unterleib losreißen. „Wann ist es so weit?“, frage
ich sie, sobald wir den Konferenzraum verlassen. „Nächste Woche habe ich den Geburtstermin. Ich habe total Angst“, antwortet sie und kaut auf ihrer
Unterlippe. „Die Hebamme hat uns erzählt, dass es hier im Krankenhaus vor allem schnell gehen soll. Ehe man sich versieht, bekommt man Spritzen gesetzt,
damit die Wehen schneller einsetzen, es wird ein Dammschnitt gemacht …“ Nicole verzieht das Gesicht. „Und dann rückt mir bestimmt auch noch die ganze
Verwandtschaft von meinem Freund auf die Pelle.“ Sie sieht nicht gerade glücklich aus. Ich frage, ob sie Lust auf einen Kaffee in der Bar gegenüber
hat.
    Gemeinsam verlassen wir das unterkühlte Redaktionsgebäude, in dem man jetzt im Hochsommer nicht das langärmelige T-Shirt vergessen darf, weil die
Klimaanlage auf Hochtouren läuft. Draußen zeigt die digitale Temperaturanzeige an der Straßenkreuzung 38 Grad an. Ich habe das Gefühl, eine Sauna zu
betreten. Nicole stöhnt. Ob mein Vorschlag so eine gute Idee war? In der Bar bestellen wir Café con Hielo, Kaffee mit Eiswürfeln, und lassen uns an
einem der Tische im Inneren des Lokals nieder, wo ein Ventilator für einen leichten Luftzug sorgt. Es dauert eine Weile, bis Nicole ansetzt: „Versteh
mich nicht falsch, ich freu michtotal auf mein Baby. Aber bei allem, was ich bisher darüber gehört habe, wie Geburten hier ablaufen,
stellen sich bei mir die Nackenhaare auf.“ „Ist es denn in Deutschland besser?“ „Ich habe ein paar Freundinnen, die schon Kinder haben, und keine hat
mir bisher solche Horrorstorys erzählt.“ In den nächsten zehn Minuten berichtet sie mir von den Geburten, die sie bei Cousinen ihres Freunds miterlebt
hat. Wegen dieser Erfahrungen blickt sie auch mit Grauen darauf, was nach der Geburt auf sie zukommt: „Kaum ist das Baby da, steht schon die Großfamilie
am Krankenbett Schlange und will das Kind in Augenschein nehmen. Man fühlt sich eher wie bei einer Familienfeier als in einem Krankenhaus, nur dass man
selbst einfach nicht auf der Höhe ist. Dass man sich in dem Moment gerade nicht danach fühlt, Besuch zu empfangen, versteht hier in Spanien aber
keiner. Meinen Freund habe ich schon ein paar Mal gebeten, mir seine Familie vom Leib zu halten, aber er sagt nur, dass er seine Mutter bestimmt nicht
davon abbringen kann, ihr Enkelkind zu sehen.“
    Nach dem Kaffee „on the rocks“ verabschiede ich Nicole, die wieder im Kühlhaus verschwindet, und schwinge mich auf meine Vespa, um nach Hause zu
fahren. Als ich Jaime von Nicoles Ängsten vor der Großfamilie erzähle, nickt er heftig. „Natürlich bekommt jemand, der im Krankenhaus liegt, ständig
Besuch. Es ist schließlich ein ziemlich trister Ort. Als meine Schwester mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus lag, hat immer einer von uns bei ihr
die Nacht verbracht, und meine Mutter hat ihr jeden Tag etwas zu Essen gekocht.“ Jaime kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass Nicole nach der Geburt
unbedingt alleine sein will. „Ihr Deutschen seid echt seltsam“, sagt er nur und schüttelt den Kopf, als ich ihm zu verstehen gebe, dass ich ihren
Wunsch nach Intimität gut verstehe. Dann schiebt er hinterher: „Aber wenn du nach der Geburt unseres Kindes gernallein sein willst,
verhänge ich natürlich striktes Besuchsverbot.“
    Jaime grinst breit. Erst kürzlich haben wir über das Thema Kinder gesprochen. Er hätte gar nichts dagegen, bald Vater zu werden. Für mich sind solche
Pläne allerdings noch Zukunftsmusik, am liebsten würde ich gar nicht darüber reden. Doch seitdem kramt Jaime das Thema immer wieder hervor, er will mich
aus der Reserve locken. „Bist du sicher, dass du dir für die Familiengründung die Richtige ausgesucht hast? Ich kann doch nicht mal kochen“, kontere
ich und lenke unser Gespräch schnell auf ein anderes Thema.
    „Barbara hat mir heute am Telefon gesagt, dass wir am Wochenende unbedingt die Serranía de Ronda besuchen müssen. Gleich zwei Events stehen auf dem
Programm: ein Künstlertreffen in Genalguacil und das Moros-y-Cristianos-Fest von Benalauría.“ Die weißen Dörfer sind fast alle Gründungen der Mauren
und auch nach der Eroberung durch die Christen
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