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Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Titel: Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Autoren: Martina Nohl
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sowieso vergeigt. Sie trat kurzerhand auf ihn zu und fragte: „Ist
noch ein Platz frei?“
    Er sah sie belustigt an. „So viel Sie möchten, meine Dame.“
    „Ach, einer reicht,“ flapste sie zurück. „Wie viel bin ich
Ihnen schuldig?“
    „Drei Heller und siebzig Pfennige“, entgegnete er mit einem
fröhlichen Lächeln, das zu seinen Sommersprossen und der verfilzten
Kopfbedeckung, was einmal Haare gewesen sein mussten, passte. Er konnte
höchstens fünfundzwanzig sein, vermutlich eher jünger, doch sie spürte schon
ein Kribbeln der Vorfreude auf eine Stadtführung mit diesem Strolch im
Bürgergewand. Sie liebte Stadtführungen in unbekannten Städten. Allerdings
weniger die trockenen, sondern die mit möglichst vielen Anekdoten. Zudem hatte
sie das Gefühl, schneller heimisch werden zu können, wenn sie sich mit ihrer
neuen Wahlheimat möglichst intensiv vertraut machen würde. Und da ging es auch
schon los.
    Eine Gruppe von etwa zwanzig Personen umringte den
Bürgersohn, dessen Gewänder erstaunlich authentisch und gar nicht nach
Pannesamt aussahen. Sie hatten sogar Knöpfe und keine Reißverschlüsse an den
sichtbaren Stellen, denn die gab es erst seit einhundertunddreißig Jahren, das
wusste sie von Anna, einer ihrer liebsten Hamburger Freundinnen, die auch
gelegentlich in der Kostümausstattung gearbeitet hatte.
    „Herzlich willkommen“,
erhob sich die tragende junge Stimme, „im romantischen Heidelberg, in
dem schon viele Menschen ihr Herz unwiderruflich verloren haben. Passen Sie
auf, dass Sie Ihres gut festhalten, wenn ich Ihnen die schönsten Fleckchen
zeige, die Sie so schnell nicht mehr vergessen werden. Und folgen Sie mir jetzt
durch die Horden hinüber zum stilleren Kornmarkt.“ Er ging mit weit ausholenden
Schritten voran und blieb vor einem Bürgerhaus an der dem Schloss zugewandten
Seite des Kornmarkts stehen. „Hier wohnte Graimberg, der Retter Heidelbergs,
einer der unseren, der sich unsterblich in die Stadt verliebt hatte und ihr
romantisches Potential als Erster erkannte. Er bewachte das Schloss, als es
schändlich niedergebrannt war, so dass die Heidelberger Bürger es nicht Stein für
Stein abtrugen, um ihre eigenen Häuser damit weiterzubauen. Er fertigte erste
kleine Zeichnungen an, die er verkaufte, um auf die Schönheit der Ruine
aufmerksam zu machen. Und er sammelte alle Schätze, die er in den Ruinen noch
finden konnte, die vom Leben seiner ehemaligen Bewohner zeugten. Diese Sammlung
bildete später den Grundstock der Sammlung, die Sie heute noch im kurpfälzischen
Museum bewundern können. Wäre er nicht gewesen, hätten später die Eichendorffs
und Brentanos und ihre romantischen Brüder und Schwestern nicht das Heidelberg
besingen können, dessen Widerschein uns auch heute noch begegnet.“
    Emily ließ sich hinwegtragen von seinem ein wenig pathetischen
Sprachfluss. Sie stöberte im Geiste mit Graimberg in den Ruinen, sie litt mit
bei der mehrmaligen Belagerung Heidelbergs, sie versuchte, ihr Porträt mit
einem Stück Holzkohle an die Wand des Karzers zu zeichnen, als sie wegen
Trunkenheit und ungebührlichen Verhaltens gegenüber ihren Professoren drei Tage
inhaftiert war. Sie hörte Luther auf dem Uniplatz voller Leidenschaft mit
seinen Anklägern diskutieren und ihnen auseinandersetzen, dass der Mensch aus
Gnade allein, nicht aufgrund seiner guten Werke in den Himmel komme. Sie sah
die Augustinermönche ihre Stirnen runzeln und die Studenten ihm zujubeln.
    Wieder angekommen am Hubertusbrunnen auf dem Marktplatz
tauchte sie nur langsam aus dieser Parallelwelt auf, die am gleichen Ort, doch
zur anderen Zeit stattfand. Ganz benommen nahm sie das Schlagen des
Glockenspiels wahr und das Gesumme der Touristen, die die Heidelberger Altstadt
wie auf der Suche nach Honig durchschwärmten. Die anderen Mitglieder der Gruppe
hatten sich schon zerstreut, nur der Bürgersohn stand da, als könne er sie noch
nicht alleine lassen. Sie trat auf ihn zu, drückte ihm überschwänglich die Hand
und sagte: „Tausend Dank, der Funke ist übergesprungen!“ Tatsächlich hatte sie
schon während der Führung den Geistesblitz gehabt, dass sie doch Stadtführerin
werden konnte. In einer Stadt wie Heidelberg gab es da sicher großen Bedarf.
Das wäre ein toller Job, zeitlich flexibel und sie würde sich so schön
intellektuell vorkommen.
    „Gern geschehen“. Seine Augen blitzten ganz merkwürdig auf,
als hätte sie kurz eine Sternschnuppe gesehen.
    „Haben Sie zufällig die Telefonnummer
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