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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein
Autoren: Gitta von Cetto
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Franzi in Elba, und jetzt sieht sie so bekümmert
aus. Ich mache mir Sorgen. Aber sie ist in steter Abwehr, ich komme nicht an
sie ‘ran. Sobald ich ein persönliches Gespräch beginne, kapselt sie sich ein.
Die Briefe von Lester kommen in großen Abständen«, schrieb sie. Es war an einem
unfreundlichen Dezembertag.
    Das Grau vor den Fenstern und
die seelenlosen Geräusche der Straße bedrückten Anna. Warte nur, dein Haus in
der Sonne wächst, dort wirst du glücklich sein, friedvoll und ungestört auf das
Leben einer älteren, respektierlichen Dame zusteuern. Anna sah sich auf einer
Bank in der Abendsonne sitzen, die Hände mit den von der Schreibmaschine stumpf
gewordenen Fingern im Schoß gefaltet, ruhig, glücklich, rückblickend. Keine
aufreibenden Pflichten mehr, Dämmerstündchen einer Mutter am Ziel. Endlich. Es
dauert lang genug, bis es soweit ist.
    Nach langer Pause war heute
wieder ein Brief von Lester gekommen, und Franzi hatte sich mit ihm in ihrem
Zimmer vergraben. Sie hörte Jazzmusik, zu laut, fand Anna. Es störte sie bei
der Arbeit. Einfach nicht hinhören. Man mußte abschalten können. Die Inder
können das.
    Plötzlich hörte die Musik auf,
und dann zerklirrte irgend etwas mit großem Getöse in Franzis Zimmer. Nicht
hinhören, sich gar nicht darum kümmern. Aber dann war da ein Ton, der Anna
hochriß, ein Aufschluchzen, fast ein Schrei, und schon war sie in Franzis
Zimmer. Als erstes stieg ihr der strenge Geruch in die Nase, dann sah sie die
zerschlagene Whiskyflasche am Boden liegen. Viel konnte nicht mehr drin gewesen
sein. Anna hatte nie Whisky im Haus. Woher hatte das Kind ihn?
    Franzi lag, Gesicht nach unten,
auf der Couch, geschüttelt von einem krampfartigen Weinen. Anna setzte sich zu
ihr und nahm ihre Schultern fest in ihre Hände. Ein Dutzend Fragen drängten
sich ihr auf, aber eigentlich gab es nur die eine Frage: Hat er dir so weh
getan? Aber auch diese eine Frage war überflüssig.
    Franzi richtete sich plötzlich
auf und sah Anna verwirrt und nahezu feindselig an. »Geh! Ich brauche niemand,
ich werde schon allein mit allem fertig.«
    Anna spürte ihren Atem. Sie
hatte getrunken. Sie wartete. Der eigentliche Ausbruch mußte erst kommen.
    »Ja, ja, ich weiß, da hat’s
Scherben gegeben, und ich habe getrunken, und das ist in deinen Augen
abstoßend. Was macht denn das kleine dumme Mädchen da für Sachen! Da ist aber
die liebe Frau Mama arg traurig.« Es klang böse, fast haßerfüllt.
    Anna saß immer noch da und
sagte nichts. Sie wartete ab.
    »Ihr meint immer wunder,
wieviel ihr wißt, ihr Erwachsenen. Aber nichts wißt ihr, gar nichts. Ihr lebt
nur euren eigenen Stiefel weiter wie vor fünfzig Jahren und seht uns so, wie
ihr uns sehen wollt. Aber wie wir sind, dieses Bild ist unangenehm, das schiebt
ihr weg von euch.«
    Nur zu! Gib’s mir! Anna hatte
Franzis Hände zu fassen bekommen, kindliche, wenig ausgeprägte Hände.
    »Weißt du, was er schreibt,
willst du’s genau wissen? >It’s a dirty trick<, schreibt er.« Franzi schrie
es mit tränenerstickter Stimme. »Ein schmutziger Trick, ihm Handschellen
anzulegen, wo es doch heute die Pille gibt...«
    Verzweiflung, Empörung und
gleichzeitig eine bittere Schadenfreude, die gegen Anna gerichtet war, sprach
aus ihren Augen. Sie entzog Anna ihre Hände und warf sich wieder auf die Couch.
    Kleines Mädchen, kleine Frau,
und so was gibt es in unserem aufgeklärten Zeitalter, wo die Liebe ein
Fremdwort ist und die Nachwuchsfrage in chemischen Fabriken geregelt wird.
    »Ich wollte es nicht, ich wollte
es bestimmt nicht! Es ist eben passiert«, schluchzte Franzi, allmählich ruhiger
werdend.
    Hier gäbe es viel Schönes und
Trostvolles zu sagen. Lester hat dich sicher sehr gern gehabt, aber es hat eben
nicht gereicht. Einer ist immer derjenige, der mehr liebt, und das ist der, der
leidet. Wir brauchen den Kopf nicht zu verlieren. Es gibt da sicher
Möglichkeiten, alles noch zum Besten zu lenken und... und... und... Anna
formulierte diese Phrasen im Geist, aber sie sprach sie nicht aus.
    Statt dessen fragte sie ganz
konkret: »Im wievielten Monat bist du denn, Franzi?«
    »Im dritten, bald im vierten.«
    Der Whiskygeruch war betäubend.
Anna öffnete das Fenster. Der Himmel war verhangen. Aber es gab eine Zukunft,
immer gab es eine. Nur würde es mit der sonnigen Ruhebank nichts werden.
Schichtwechsel, weiter nicht. Ein neues Problem löste die alten ab.
    Sie kniete am Boden und
sammelte die Scherben in den Papierkorb. »Es gäbe
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