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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein
Autoren: Gitta von Cetto
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Schwindelgesellschaft«, sagte Bettina.
    »So. Und das teilst du mir so
nebenbei mit?«
    »Gar nicht nebenbei. Einer von
den Geldgebern ist abgesprungen, und nun ist ihnen die Puste ausgegangen. Aber
ich bringe mich deshalb nicht um. Schließlich habe ich durch diese Sache Jean kennengelernt.«
    Durch das verschmutzte Fenster
der Kabine sah Anna, wie Don Vincenzo den Laden betrat und in den Zeitungen
blätterte. Don Vincenzo war der Pfarrer, ein Mann mit einem aufmerksamen
Panthergesicht.
    »Warum sagst du denn nichts,
Mama? Bist du noch da?«
    »Ja, ich bin noch da.«
    »Das ist natürlich eine dumme
Sache mit dem geplatzten Film. Ich bin ziemlich blank. Ich hatte mit den
vertraglich zugesicherten Tagegeldern gerechnet. Hallo? Bist du noch da?«
    »Ja, sicher.«
    »Ich möchte natürlich ungern
meinen Mann — ich meine Bernhard — um Geld bitten. Das wirst du verstehen.«
    »Untersteh dich!«
    »Na ja, aber... Wir sind schon
in eine ziemlich windige Pension übergesiedelt.«
    »Wer >wir    »Ich, meine ich. Jean wohnt bei
einem Freund. Aber er besucht mich natürlich täglich, und wir gehen zusammen
essen. Mama?«
    Anna, den Hörer zwischen Ohr
und Schulter geklemmt, steckte sich eine Zigarette an. »Bitte, frag mich nicht
noch einmal, ob ich noch da bin. Ich bin noch da.«
    »Wenn du einen solchen Ton
anschlägst, dann können wir unser Gespräch ja gleich beenden«, sagte Bettina
gekränkt.
    Annas Herz begann bis zum Hals
hinauf zu schlagen. Wenn Bettina nun einfach auflegte? Anna wußte nicht einmal
ihre Adresse. Das arme Ding quälte sich in einer schäbigen Pension herum. Frühstückte
sie auch ordentlich? Sie würde ihr ganzes Geld für Zigaretten und den Friseur
ausgeben. Natürlich schlief sie nicht genügend. Schlief sie allein?
    Anna wartete auf ein
versöhnliches Wort. Am anderen Ende der Leitung wartete Bettina. Aber sie
verlor nach wenigen Sekunden die Geduld.
    »Es tut mir herzlich leid, daß
ich dich ans Telefon gehetzt habe, Tschau.«
    Anna lehnte sich gegen die
Holzwand der Telefonzelle und rauchte ihre Zigarette, den Hörer immer noch fest
ans Ohr gepreßt, als könne sie ihm noch irgendeine unerwartete Botschaft
entlocken. Warum liebte man seine Kinder eigentlich? War das wirklich ein
Naturgesetz? »Nein, ich liebe dich nicht. Und es ist mir auch ganz egal, ob du
frühstückst und was du frühstückst. Ich habe es satt, mein Täubchen, gründlich
satt, mich von dir schinden zu lassen.«
    »Signora! Der Teilnehmer in Rom
hat längst eingehängt«, kam es eindringlich zu Anna. Sie hatte ihren ganzen
Ärger in den Telefonhörer hineingeredet.
    »Danke. Ja, ich weiß«,
erwiderte Anna, während sie ihre Zigarette auf dem Boden zertrat.
    Aus, Schluß mit der
Weichherzigkeit! Bettina war eine ganz unverschämte, selbstgefällige,
egoistische Person, die vor dreiundzwanzig Jahren per Zufall mit ihr verwandt
geworden war. Zum Glück hatte sie ja noch zwei andere Kinder.
    Sie stürmte aus dem kleinen
Laden, wo es nach Pappdeckel und Papiertüten und Plastik roch. »Signora! Ihr
Telefongespräch! Sie haben vergessen zu bezahlen«, rief ihr die öffentliche
Fernsprechdame nach.
    »Ach, du lieber Himmel.« Anna
kehrte wieder um, und während die Ladenbesitzerin an ihrem riesigen Leierkasten
herumdrehte, um die Gebühren zu erfahren, blätterte Anna in einer
Illustrierten.
    >Spanien säubert seine
Städte von Gammlern<, las sie. Ganz nette Leutchen, die hier abgebildet
waren, mit ihren Piratenbärten und den wilden Jungensblicken, die der Welt den
Kampf ansagten. Manche sahen zornig in die Kamera, manche grinsten. Unter
denen, die grinsten, war... Aber nein, das konnte ja nicht möglich sein!
Obwohl... Anna beugte sich tiefer über die Fotos. Poldis letzte Karte stammte
aus Avignon, aber das war drei Wochen her. Nein, nein, das war nicht Poldi!
    Anna beruhigte sich. Sie sah
ganz einfach Gespenster. Es waren nur noch zwölf Tage bis zu ihrem Geburtstag,
und dann würde Poldi kommen. Er hatte es fest versprochen, und sie hatte ihm
sicherheitshalber das Reisegeld geschickt. Nach Avignon, postlagernd.
     
    Bettina dehnte sich und rückte
ihre Wirbelknochen zurecht. Die Drahtmatratze des breiten Bettes war so
ausgebeult, als hätten auf ihr Generationen von Schwergewichtlern geschlafen.
Bettina lag wie in einer Hängematte aus Eisendraht.
    Bettinas Kopf fühlte sich an
wie ein Ballon. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, um sicher zu sein, daß er
an ihrem Hals blieb und nicht plötzlich zur Decke schwebte.
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