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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein
Autoren: Gitta von Cetto
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Ich kann den alten Herrn nicht
ändern.«
    So einer war das also. Einer,
der Milchkühe auf fette Bergmatten getrieben und das Heu in schweren Bündeln
auf dem Buckel ins Tal geschleppt hatte. Einer, der sein Geld auch sehen
wollte.
    »Wie lang brauchen Sie zum
Anziehen?« fragte der Schweizer nahezu höflich.
    Bettina schwieg bockig.
    »Ich werde auf Sie warten.
Draußen vor Ihrer Tür, wohlgemerkt. Damit Sie mir nicht entkommen.« Er kniff
seine blauen Augen zusammen, als blicke er gegen die Sonne. »Sie sehen nicht so
aus, als würden Sie aus dem vierten Stock springen.«
    Er schob die Hand samt der
Zigarettenpackung wieder in die Tasche, schlenderte gemächlich aus dem Zimmer
und schloß die Tür hinter sich.
     
    Bettina biß sich auf die
Lippen. Sie überlegte, was zu tun war. Sie überlegte, was sie anziehen und ob
sie überhaupt etwas anziehen oder sich einfach auf die andere Seite legen und
weiterschlafen sollte. In dieser Pension gab es kein Telefon in den Zimmern. Und
wen hätte sie anrufen sollen? Jean? Er wohnte bei irgendeinem sagenhaften
Freund, der angeblich ein Luxusappartement in Rom besaß, aber dessen Namen Jean
nicht preisgeben konnte, weil es sich um eine hochgestellte Persönlichkeit
handelte, die ihr Inkognito nicht lüften wollte. Ob die Sache einen Haken
hatte? Lebte er mit einer anderen Frau zusammen? Aber sie konnte sich ihn
überhaupt nicht mit einer Frau vorstellen, den zarten, scheuen Jean Moulin.
    Ein Katerfrühstück wäre jetzt
nicht schlecht. Bettina sah sich eine Tasse Kaffee trinken, schwarz wie die
Nacht, und dazu zwei Eier im Glas, eine Schinkensemmel, eine Tomate und eine
Handvoll Oliven, ordentlich mit Knoblauch gewürzt, verzehren. Darüber schlief
sie ein. Sie setzte diese Vorstellung im Traum fort, dehnte sie auf ein
gebratenes Täubchen aus und lächelte selig, als ihr Besucher das Zimmer wieder
betrat.
    Er hatte eine halbe Stunde vor
der Tür zugebracht und dabei fünf Zigaretten geraucht. Jetzt fand er es an der
Zeit, daß eine Frau, noch dazu eine Hoteldiebin, ihre Toilette beendet hatte.
    Ludwig Seggelin, Sohn des
Schweizer Im- und Exportkaufmanns Manfred Seggelin, hatte, als seine
Brieftasche verschwunden war, dieses Einmann-Unternehmen aus Resten einer
Jungenromantik gestartet. Es erinnerte ihn an die Indianerspiele mit seinem
Freund Vlaxus. Sie hatten wunderbare Heldentaten vollbracht und Tausende von
Bösewichtern in dem mit Holunderbüschen bewachsenen Garten in Basel gefangen.
Fast bereute es Seggelin, daß er den Hoteldetektiv bemüht hatte und mit diesem
gemeinsam auf Bettinas Fingerabdrücke gestoßen war. Er hatte sie nach ihrem
Auszug aus dem Hotel fünf Tage lang in Rom gesucht, und das nicht nur wegen der
gestohlenen Brieftasche, sondern weil sie ihm schon vorher im Hotel aufgefallen
war und er gern ihre Bekanntschaft gemacht hätte. Bis jetzt hatte er geglaubt,
diese engelhaft aussehenden Hoteldiebinnen seien die Erfindung geschickter
Filmautoren.
    Ludwig Seggelin hatte es kaum
fassen können, als er gestern durch einen Zufall Bettina wiederbegegnete. Nein,
es war kein Zufall, es war Schicksal. Dieses Mädchen mußte er kennenlernen.
Ganz abgesehen davon, daß er seines Vaters Geld gern wiedergehabt hätte. Ludwig
Seggelin stammte aus einer altmodischen, gottesfürchtigen Familie. Er hatte in
Genf Physik studiert und war, da er überdurchschnittlich begabt war, über die
Rockefeller Foundation zwei Jahre nach Amerika an die Harvard Universität
geschickt worden. Mit siebenundzwanzig Jahren hatte er summa cum laude in
Zürich promoviert. Er hatte dann drei Jahre lang an einem Schweizer
Forschungsinstitut gearbeitet, hatte seine italienisch-schweizerische
Assistentin geheiratet, und besaß zwei Kinder von ihr, Sebastian und Sibyll.
Seine Frau, die — ohne seine Phantasie sonderlich zu beschäftigen — ihm treu
ergeben gewesen war, hatte wunderbar gekocht. Und Ludwig Seggelin hatte es
geliebt, gut zu essen und hinterher gut und ohne besondere Aufregungen zu
ruhen. Er war mit seiner Familie, dem verlockenden Angebot eines italienischen
Konzerns folgend, nach Turin und später nach Mailand übergesiedelt. Einige
Geschäfte, die er für seinen Vater erledigte, führten ihn von Zeit zu Zeit nach
Rom und nach Süditalien. Weil er in Mailand eine ziemlich einsame Villa bewohnt
hatte, hatte er sich zum Schutz seiner Familie und als Spielkamerad seiner
Kinder einen Boxerrüden angeschafft. Er hörte auf den Namen Lackel und bellte,
knurrte und tobte sich in
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