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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO
Autoren: Peter Mayle
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Reih und Glied vor ihm, mit weggestecktem Schlips, die Gläser in Habachtstellung, aber noch ungefüllt, und warteten auf weitere Anweisungen.
    Wirbeln, sagte Billy. Ihr müsst lernen, den Wein zu wirbeln, damit er Luft bekommt und atmen kann. Die Jünger ahmten die kleinen Kreisbewegungen seiner Hand so gut es ging nach, ließen den imaginären Wein in den leeren Gläsern wirbeln und kamen sich allmählich ein wenig lächerlich vor. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
    Die Jünger hielten die leeren Gläser gegen das Kerzenlicht, um die imaginären Farbnuancen ihres imaginären Rebensaftes angemessen würdigen zu können. Sie steckten die Nasen in die leeren Gläser, atmeten das imaginäre Bouquet ein. Sie nahmen einen imaginären Schluck und spuckten ihn imaginär aus, dankbar, dass ihre Krawatten aus dem Weg waren und keinen imaginären Tropfen abbekamen. Inzwischen waren alle reif für einen großen Scotch, aber es sollte nicht sein.
    Endlich schenkte Billy den ersten der Weine zum Verkosten ein - der Übergang zum zweiten Teil dieses Wein-Knigge für Anfänger. Er bestand im Wesentlichen in einer Anatomielektion. Wein hatte eine Nase, erfuhren die Jünger, denn er musste atmen können. Wein hatte einen Körper, hatte Beine, denn der Kenner sprach von seinem Abgang. Wein hatte eine ureigene Aura, ein Aroma, einen Charakter, eine Essenz. Und es reichte nicht aus, laut Billy, beim Verkosten so zu tun als ob: Man musste auch beschreiben können, was man gerade geschmeckt hatte. Und während die Jünger brav wirbelten, nippten und spuckten, lieferte Billy am laufenden Band Kommentare über die Weine auf dem Prüfstand.
    Der erste besaß Substanz, wie er meinte, und einen gut entwickelten Körper, mit der Neigung zur Fülle. Der zweite glich einer eisernen Faust in Samthandschuhen. Der dritte war ein wenig kantig - im Klartext derb und rau - aber unter gewissen Umständen durchaus genießbar. Der vierte war ein bisschen zu jung, um so lange offen zu bleiben. Und so ging es weiter. Während sich die Möchtegern-Weinkenner ihren Weg durch die Ansammlung von Flaschen bahnten, wurden ihre Beschreibungen immer ausgefallener: Trüffeln, Hyazinthen, Heu, nasses Leder, feuchter Tweed, Wiesel, Hasenbauch, alter Teppich, Muffelsocken. Die Musik gab ein kurzes Intermezzo, als der Nachhall eines Weines mit den letzten Noten des zweiten Satzes von Rachmaninows zweitem Klavierkonzert verglichen wurde. Überraschenderweise wurde der Hauptbestandteil kein einziges Mal erwähnt, vermutlich weil Trauben, so unverfälscht, wertvoll und unerlässlich sie auch sein mochten, nicht exotisch genug waren, um einen Platz im Lexikon des Weinliebhabers zu erobern.
    »Das war nur die erste Lektion«, sagte Charlie. »Danach wurde es besser, und ich lernte eine Menge.« Sein Gesicht wurde ernst, als er in das blutrote Herz seines Weines blickte. »Trotzdem ist dieser Wein ein ganz außergewöhnliches Getränk«, fuhr er fort. Seine Worte waren mehr an sich selbst als an Max gerichtet. »Und das eleganteste obendrein. Sobald ich meine Schäfchen im Trockenen habe, werde ich ihn mir jeden Tag gönnen. Vielleicht lege ich mir sogar ein eigenes Weingut zu.« Er tauchte aus seiner Tagträumerei auf und grinste Max an. »Du hast bereits eins, Glückspilz.«
    »Wer weiß, wie lange noch. Ich fürchte, ich werde es verkaufen müssen.«
    Charlie zuckte zusammen, dann tat er sein Bestes, eine ernste, geschäftsmäßige Miene aufzusetzen. »Man sollte eine Entscheidung, bei der es um den Verkauf von Land geht, niemals übereilen. Land ist eine Ware, die nicht mehr hergestellt wird, habe ich mir sagen lassen. Verpachte deinen Grundbesitz oder heb ihn auf für Notzeiten, aber trenn dich nicht davon. Und außerdem, mit einem Weinanbaugebiet von zwanzig Hektar müsstest du eigentlich in der Lage sein, dir ein ganz erkleckliches Auskommen zu sichern.«
    Max erinnerte sich an das Meer von Grün rings um das alte Haus. Wenn seine Erinnerung ihn nicht trog, war immer ein Mann auf einem Traktor am Horizont sichtbar gewesen. Onkel Henry nannte ihn Russell, aber das war gewiss nicht sein richtiger Name. Wenn er zu Besuch kam, brachte er den Geruch von Knoblauch und Motoröl mit. Ihm die Hand zu schütteln war, als ergriffe man einen warmen Stein.
    »Ich weiß nicht, Charlie. Das ist kein Kinderspiel, und schon gar nichts für Amateure.«
    Charlie schluckte einen Bissen Lammfleisch hinunter und spülte mit einem ausgiebigen Schluck nach. »Das hat sich ganz
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