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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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hatte, gab ich dennoch meine dumme Floskel nicht so bald auf. Ich erinnere mich, daß einer der Lehrer – übrigens blieb er der einzige – meinte, ich sei »von einer rachsüchtigen sozialen Idee erfüllt«. Im allgemeinen wurde dieser Einfall mit einer kränkenden Nachdenklichkeit quittiert. Schließlich sagte mir einer meiner Mitschüler, ein Junge mit einer sehr spitzen Zunge, mit dem ich mich höchstens einmal im Jahr unterhielt, mit ernster Miene, aber den Blick an mir vorbeigerichtet:
    »Solche Gefühle machen Ihnen natürlich Ehre, und Ihr Stolz ist zweifellos nicht unbegründet; aber ich an Ihrer Stelle hätte trotzdem nicht so feierlich verkündet, daß ich ein unehelicher Sohn bin … Als hätten Sie Namenstagsfeier!«
    Darauf hörte ich auf, mit meiner illegitimen Herkunft zu prahlen.
    Ich wiederhole, daß es ausgesprochen schwer ist, russisch zu schreiben: Nun habe ich drei Seiten darüber vollgeschrieben, wie ich mich mein Leben lang über meinen Familiennamen ärgerte, währenddessen der Leser bestimmt den Schluß gezogen hat, ich ärgere mich gerade darüber, daß ich nicht Fürst, sondern einfach Dolgorukij bin. Eine nochmalige Erklärung und Rechtfertigung betrachte ich als erniedrigend.
    IV
    Also, unter dem Hofgesinde, das, wie erwähnt, sehr zahlreich war, befand sich außer Makar Iwanowitsch auch eine Magd, die bereits in ihrem achtzehnten Lebensjahr stand, als der fünfzigjährige Makar Dolgorukij plötzlich die Absicht kundtat, sie zu ehelichen. Die Ehen des Hofgesindes durften, wie bekannt, zur Zeit der Leibeigenschaft nur mit Billigung der Gutsherrschaft und mußten gelegentlich auch auf deren Befehl geschlossen werden. Auf dem Gut lebte damals nur die Tante; das heißt, sie war keineswegs meine Tante, sondern ebenfalls eine Gutsbesitzerin; aber aus irgendeinem Grunde wurde sie von allen ihr Leben lang Tante genannt, nicht nur von mir, sondern allgemein, auch seitens der Familie Werssilows, mit dem sie tatsächlich über sieben Ecken verwandt war. Das ist Tatjana Pawlowna Prutkowa. Damals besaß sie im selben Gouvernement und im selben Kreis fünfunddreißig eigene Seelen. Sie hatte als Nachbarin Werssilows Gut (mit fünfhundert Seelen) nicht eigentlich verwaltet, sondern als gute Nachbarin ein Auge darauf gehabt, und dieses Ein-Auge-darauf-Haben soll, wie ich hörte, der Aufsicht eines professionellen Verwalters in nichts nachgestanden haben. Übrigens gehen mich ihre Kenntnisse überhaupt nichts an; ich will nur, den leisesten Gedanken an Schmeichelei oder Lobhudelei von mir weisend, hinzufügen, daß diese Tatjana Pawlowna ein edel gesinntes und sogar originelles Wesen ist.
    Und nun hatte Tatjana Pawlowna die Heiratsabsichten des düsteren Makar Dolgorukij (er soll damals düster gewesen sein) keineswegs abgelehnt, sondern sie, ganz im Gegenteil, im höchsten Maße gefördert. Sofja Andrejewna (diese achtzehnjährige Gesindemagd, das heißt meine Mutter) war schon seit einigen Jahren Vollwaise: Ihr seliger Vater, der für Makar Dolgorukij höchste Achtung empfunden haben muß und ihm auch zu Dank verpflichtet zu sein schien, ebenfalls Hofknecht, hatte vor sechs Jahren, wie man sich erzählte, als er auf seinem Totenbett lag, eine Viertelstunde bevor er den Geist aufgab (man hätte seine Worte auch für die Phantasien eines Sterbenden halten können, zumal ihm als Leibeigenem keinerlei Verfügungsgewalt zustand), Makar Dolgorukij zu sich gerufen und ihm vor dem versammelten Gesinde und dem Geistlichen laut und deutlich, mit Blick auf seine Tochter, gesagt: »Zieh sie groß und heirate sie.« Alle haben das gehört. Und was Makar Iwanowitsch betrifft, so weiß ich nicht, in welchem Sinne er später heiratete, ob mit Vergnügen oder nur aus Pflichterfüllung. Wahrscheinlich hat er einen völlig ungerührten Eindruck gemacht. Er war ein Mensch, der sich auch schon damals »darstellen« konnte. Nicht, daß er bibelkundig und im Lesen und Schreiben besonders bewandert gewesen wäre (obwohl er sich in der Liturgie gut auskannte, wie auch im Leben einiger Heiliger, letzteres aber mehr vom Hörensagen), nicht, daß er die Rolle eines Gesinde-Raisonneurs spielte, er war einfach ein hartnäckiger Charakter, der vor keinem Risiko zurückschreckte, er drückte sich ambitiös aus, urteilte stets unwiderruflich und führte ein, nach seinen eigenen erstaunlichen Worten, »ehrwürdiges Leben« – so war er damals. Natürlich wurde er allgemein hochgeschätzt, war aber, wie es heißt, für alle
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