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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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zur Welt brachte, war sie noch jung und schön, folglich brauchte er sie, und ein schreiender Säugling wäre häufig nur lästig gewesen, ganz besonders auf Reisen. Und so geschah es, daß ich bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr meine Mutter kaum gesehen habe, höchstens bei zwei, drei flüchtigen Gelegenheiten. Das lag nicht an den Gefühlen meiner Mutter, sondern an Werssilows Hochmut gegenüber den Menschen.
    VII
    Jetzt von etwas ganz anderem.
    Vor einem Monat, das heißt einen Monat vor dem neunzehnten September, habe ich in Moskau beschlossen, mich von ihnen allen loszusagen und mich nun endgültig auf meine Idee zurückzuziehen. Ich halte auch an diesem Ausdruck fest: »Mich auf meine Idee zurückziehen«, weil diese Worte für meinen Hauptgedanken beinahe vollständig zutreffen – für das Eigentliche, um dessentwillen ich auf der Welt bin. Worin diese »eigene Idee« besteht, wird später noch oft zur Sprache kommen. Schon in der Zurückgezogenheit meines verträumten und langjährigen Moskauer Lebens ist sie in mir aufgekeimt, bereits in der sechsten Gymnasialklasse, und hat mich seither nicht einen einzigen Augenblick verlassen. Sie hat mein ganzes Leben absorbiert. Auch vorher hatte ich nur in meinen Träumen gelebt; ich lebte seit meiner Kindheit in einem Traumland besonderer Art; aber mit dem Auftauchen dieser beherrschenden, alles absorbierenden Idee bekamen meine Träume eine Festigkeit, sie schmolzen mit einem Schlag zu einer bestimmten Form: Die törichten verwandelten sich in vernünftige. Das Gymnasium stand den Träumen nicht im Wege; es stand auch der Idee nicht im Wege. Ich muß jedoch hinzufügen, daß ich im letzten Gymnasialjahr schlecht abgeschnitten habe, während ich bis zur siebten Klasse stets zu den Besten gehört hatte, was auf dieselbe Idee zurückzuführen ist, auf eine vielleicht falsche Schlußfolgerung, die ich aus ihr zog. Auf diese Weise verhinderte also nicht das Gymnasium die Idee, sondern die Idee verhinderte das Gymnasium. Und sie verhinderte auch die Universität. Nach dem Verlassen des Gymnasiums habe ich mir sofort vorgenommen, nicht nur mit allen radikal zu brechen, sondern, falls erforderlich, sogar mit der ganzen Welt, ungeachtet des Umstands, daß ich erst neunzehn war. Ich schrieb an den richtigen Adressaten, über die richtige vermittelnde Adresse in Petersburg, daß man mich endgültig in Ruhe zu lassen, mir nicht weiter das Geld für meinen Unterhalt zu schicken und mich endgültig zu vergessen habe (selbstverständlich nur, wenn man sich überhaupt an mich erinnerte), und schließlich, daß ich ein Universitätsstudium »um keinen Preis« zu beginnen gedenke. Ich stand vor einem unausweichlichen Dilemma: Wenn Universität und weitere Ausbildung, dann verschöbe sich die Verwirklichung der Idee um weitere vier Jahre; ohne zu zögern, entschied ich mich für die Idee, die für mich eine nahezu mathematische Überzeugungskraft besaß. Werssilow, mein Vater, den ich nur ein einziges Mal in meinem Leben, im Alter von nur zehn Jahren, einen Augenblick lang gesehen und der auf mich in diesem Augenblick einen überwältigenden Eindruck gemacht hatte, dieser Werssilow antwortete auf meinen Brief, der übrigens gar nicht an ihn gerichtet war, mit einem eigenhändigen Schreiben, in dem er mich aufforderte, nach Petersburg zu kommen, und mir eine private Anstellung versprach. Die Aufforderung dieses trockenen und stolzen, mir gegenüber hochmütigen und nachlässigen Mannes, der, nachdem er mich in die Welt gesetzt, fremden Menschen überlassen und mich überhaupt nicht gekannt hatte, sogar ohne dies je zu bereuen (und, wer weiß, ohne eine klare und genaue Vorstellung von meiner Existenz, denn es sollte sich in der Folge herausstellen, daß das Geld für meinen Unterhalt nicht er selbst, sondern andere zahlten), die Aufforderung dieses Mannes, sage ich, der sich so plötzlich an mich erinnerte und mich eines eigenhändig geschriebenen Briefes würdigte – diese Aufforderung schmeichelte mir und entschied mein Schicksal. Eigentümlicherweise gefiel mir unter anderem ganz besonders an seinem kurzen Briefchen (ein einziger Bogen kleinen Formats), daß er mit keinem Wort die Universität erwähnte oder mir zuredete, meinen Entschluß zu ändern, und mir keine Vorwürfe machte, daß ich nicht studieren wollte, kurz, auf sämtliche üblichen elterlichen Sprüche, die in ähnlichen Fällen unvermeidlich sind, verzichtete; indessen war es gerade schlimm, weil sich darin seine
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