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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Gipfel des Monströsen und Ekelhaften ist; und doch hätte Werssilow bei bestem Willen, glaube ich, mit meiner Mutter nicht anders anfangen können. Sollte er denn mit einer Auslegung von »Polinka Sachs« anfangen? Und überdies ging es ihnen überhaupt nicht um russische Literatur; im Gegenteil, nach seinen eigenen Worten (an diesem Tag war er gesprächig) versteckten sie sich in dunklen Ecken, warteten im Treppenhaus aufeinander, prallten wie Gummibälle puterrot auseinander, wenn jemand vorbeikam, und der »Tyrann« von Gutsherr zitterte vor der letzten Scheuermagd, ungeachtet aller seiner Herrschaftsrechte. Wenn auch der Anfang nach Gutsherrenart verlief, so geriet doch alles ganz anders, es blieb eigentlich trotzdem völlig unerklärlich. Und in ein noch tieferes Dunkel gehüllt. Allein das Ausmaß, in dem sich ihre Liebe entwickelte, ist ein Rätsel, weil die erste Bedingung Werssilows und seinesgleichen darin bestand, sich sofort aus dem Staub zu machen, sobald das Ziel erreicht war. Aber dazu kam es nicht. Eine Affäre mit einer hübschen, willfährigen Magd (und meine Mutter war keine willfährige Magd) war für einen liederlichen »jungen Hund« (und sie waren alle liederlich, einer wie der andere, sowohl die Progressisten als auch die Regressisten) nicht nur möglich, sondern sogar unvermeidlich, insbesondere in der romantischen Stimmung eines jungen Witwers und seines Müßiggangs. Aber eine Liebe fürs ganze Leben – das war zuviel. Ich will mich nicht dafür verbürgen, daß er sie geliebt hat, aber daß er sie sein ganzes Leben lang überallhin mitgeschleppt hat – das stimmt.
    Die Fragen, die ich gestellt habe, waren sehr zahlreich, aber es gibt eine Frage, die allerwichtigste, die ich, zugegeben, nicht direkt an meine Mutter zu stellen wagte, ungeachtet dessen, daß wir beide seit dem vergangenen Jahr uns so nahegekommen sind und daß ich darüber hinaus als ein grober und undankbarer junger Hund, der überzeugt war, daß man vor ihm schuldig war, mit ihr überhaupt keine Umstände machte. Folgende Frage: Wie hat sie es fertiggebracht, sie selbst, die bereits seit einem halben Jahr in einer Ehe lebte, und auch noch erdrückt von all den Begriffen von der Rechtmäßigkeit der Ehe wie eine kraftlose Motte, sie, die ihren Makar Iwanowitsch nicht weniger als eine Gottheit verehrte, wie hatte sie es fertiggebracht, in ein paar Wochen eine solche Sünde auf sich zu nehmen? Sie war doch kein loses Frauenzimmer, meine Mutter? Im Gegenteil, ich kann jetzt vorwegnehmend behaupten, daß eine reinere Seele, und zwar das ganze folgende Leben hindurch, kaum vorstellbar ist. Eine Erklärung könnte man höchstens darin finden, daß sie diesen Schritt gleichsam außer sich getan hat, allerdings nicht in dem Sinne, wie jetzt die Anwälte von ihren Mandanten, Mördern und Dieben, behaupten, sondern im Bann eines überwältigenden Eindrucks, der bei einer gewissen Naivität des Opfers sich verhängnisvoll und tragisch auswirkt. Vielleicht hatte sie sich unsterblich in den … Schnitt seiner Kleider verliebt, den Pariser Scheitel, sein Französisch, gerade das Französisch, von dem sie kein Wort verstand, in jene Romanze, die er selbst am Klavier begleitete, sie hatte sich in etwas verliebt, das sie noch nie gesehen und noch nie gehört hatte (überdies war er auch noch sehr schön), und schon liebte sie, vor Liebe vergehend, alles zusammen, ihn ganz, samt Façon und Romanzen. Ich habe gehört, daß so etwas manchmal den Mädchen aus dem Gesinde zustieß, noch zur Zeit der Leibeigenschaft, und sogar den allerehrbarsten. Ich kann das verstehen und halte jeden für einen Schurken, der so etwas allein durch die Leibeigenschaft und das »Unterwerfen« erklären will! Also mußte doch diesem jungen Mann eine so unwiderstehliche Verführungsmacht innewohnen, daß er ein bis dahin reines Wesen anzog, ein vor allem so völlig andersartiges Wesen, so ganz und gar aus einer anderen Welt und von einem anderen Planeten, um es in ein sicheres Verderben mitzureißen? Daß es ein Verderben war – das hat meine Mutter hoffentlich ihr ganzes Leben lang gewußt; höchstens damals, als sie zu ihm ging, da gab es für sie kein Verderben; aber so sind sie immer, diese »Unbehüteten«: Sie wissen um das Verderben und lassen sich doch nicht beirren.
    Nachdem sie gesündigt hatten, haben sie sofort gestanden. Er erzählte mir nicht ohne Witz, wie er an Makar Iwanowitschs Schulter geschluchzt habe, den er zu diesem Anlaß in sein
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