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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition)
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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plötzlich unterbrach ich ihn mit der Bemerkung: „Daraus sollte ein Buch entstehen", und wir fingen an, über die Namen ehemaliger Kommunisten zu sprechen, die fähig sein könnten, über sich selber die Wahrheit zu erzählen.
    Im Anfang reichte unsere Auswahl sehr weit, doch ehe der Abend vorüber war, beschlossen wir, die Liste auf ein halbes Dutzend Schriftsteller und Journalisten zu beschränken. Wir waren nicht im mindesten daran interessiert, die Flut antikommunistischer Propaganda noch mehr anschwellen zu lassen oder eine Gelegenheit für persönliche Verteidigungsschriften zu schaffen. Unser Augenmerk war darauf gerichtet, den Geisteszustand der bekehrten Kommunisten zu untersuchen sowie die Atmosphäre des Zeitraums von 1917-1939, in dem die Bekehrung so üblich war. Zu diesem Zweck war es wesentlich, daß jeder der Mitarbeiter fähig war, nicht etwa die Vergangenheit noch einmal zu durchleben – das ist unmöglich –, sondern daß er imstande war, durch einen Vorgang schöpferischer Selbstanalyse sie trotz seines Vorwissens von der Gegenwart noch einmal zu gestalten. Wie ich wohl weiß, ist eine Autobiographie dieser Art nahezu unmöglich für den praktisch-tätigen Politiker: sein Selbstrespekt verdreht die Vergangenheit durch Terminologien der Gegenwart. Eine sogenannte wissenschaftliche Selbstanalyse führt gleichfalls in die Irre; da sie die Persönlichkeit in eine Reihe von psychologischen und sozialen Ursachen aufspaltet, zerredet sie durch Erklärungen die Gefühlsregungen, die wir beschrieben haben wollten. Die Objektivität, nach der wir suchten, war die Gabe der Besinnung auf Vergangenes – und zwar wenn nicht in heiterster Gelassenheit, so doch mit Leidenschaftslosigkeit –, und diese Gabe ist außer dem schöpferisch veranlagten Schriftsteller selten jemandem gegeben.
    Es ist Tatsache, daß in den Jahren, die zwischen der Oktober-Revolution und dem Stalin-Hitler-Pakt liegen, zahllose Literaten sowohl in Europa wie in Amerika sich zum Kommunismus hingezogen fühlten. Sie waren nicht „typische" Konvertiten. Vielmehr gaben sie, da sie Menschen mit einem recht ungewöhnlichen Feinempfinden waren, äußerst anormale Kommunisten ab, genau so wie der literarische Katholik ein äußerst anormaler Katholik ist. Sie besaßen ein erhöhtes Wahrnehmungsvermögen für den Zeitgeist und empfanden schärfer als andere seine enttäuschten Erwartungen und seine Hoffnungen. Ihre Bekehrung brachte daher in einer scharfen und manchmal hysterischen Form Gefühle zum Ausdruck, die dumpf und verschwommen von Millionen, die es nicht formulieren konnten, ebenfalls geteilt wurden, und die empfanden, daß Rußland „auf der Seite der Arbeiter" stehe. Der Intellektuelle ist in der Politik immer „unausgeglichen", wenn er seine Kollegen beurteilt. Er späht angestrengt um die nächste Ecke, indessen sie ihre Augen auf die Straße gerichtet halten; und er riskiert seinen Glauben an nicht realisierten Ideen, anstatt ihn vorsichtig und klug auf langweilige Ergebenheitserklärungen zu beschränken. Er ist seiner Zeit voraus und in diesem Sinne ein extremer Mensch. Wenn die Geschichte seine Vorahnungen rechtfertigt, dann ist alles gut und schön. Aber wenn die Geschichte im Gegenteil die andere Richtung einschlägt, dann muß er entweder weiter bis in die Sackgasse marschieren oder einen schimpflichen Rückzug antreten und die Ideen verwerfen, die ein Teil seiner Persönlichkeit geworden sind.
    In dem vorliegenden Buche beschreiben sechs Intellektuelle die Fahrt in den Kommunismus und die Rückkehr aus ihm. Sie sahen ihn anfänglich – genau so wie ihre Vorgänger vor 130 Jahren die französische Revolution sahen – als eine Vision des Reiches Gottes auf Erden; und wie Wordsworth und Shelley widmeten sie ihre Talente einer Arbeit in Demut, um sein Kommen herbeizuführen. Sie ließen sich nicht durch Zurechtweisungen der Berufsrevolutionäre oder durch die spöttischen Bemerkungen ihrer Gegner entmutigen, bis jeder von ihnen die Kluft entdeckte, die zwischen seiner eigenen Vision von Gott und der Wirklichkeit des kommunistischen Staates klaffte – und der Gewissenskonflikt erreichte seinen kritischen Punkt.
    Sehr wenige können den Anspruch erheben, einen genauen Blick um diese besondere Ecke der Geschichte getan zu haben. Bertrand Russell war imstande, sein Buch „Die Praxis und Theorie des Bolschewismus", das er im Jahre 1920 geschrieben hatte, wieder zu veröffentlichen, ohne ein einziges Komma darin ändern zu
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