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Ein Gang durch die Katakomben

Titel: Ein Gang durch die Katakomben
Autoren: Adalbert Stifter
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Kraftlosigkeit des Indifferentismus, der bei den Worten: Gott, Unsterblichkeit, Ewigkeit nichts denkt und sie nur als Redeformen in dem Munde führt, die er überkommen hat wie andere Worte, bei denen er auch nichts denkt.
    Dies ist neben dem so vielen Nützlichen der Buchdruckerei eine Schattenseite derselben, daß, seit sie die Bücher so vervielfältigen, tausend und tausend Menschen aus der Welt gehen, ohne darin einen einzigen Gedanken gehabt zu haben; denn sie lesen sich einen gewissen Vorstellungskreis, eine Art Natur zusammen und sagen ihn so lange sich selber und andern vor, bis sie sterben, und wissen nicht, daß sie selber in der Welt gar nichts gedacht haben; darum hat sogar auch unsere Literatur etwas so Wässeriges und Familienähnliches, während die der Alten so frisch und so unmittelbar ist, trotz der Einfalt und Naivität, die wir heute belächeln.
    Solche und ähnliche schwermütige Gedanken hatte ich, als ich eines Tages aus den Katakomben des Stephansturmes wieder an das Licht des Tages trat und schnell durch das frivole Treiben der Gasse nach Hause ging.
    In diese Katakomben nun will ich den freundlichen Leser begleiten, daß er ein ernstes Stück Vergangenheit unserer Stadt vor sich sehe, und daß er, wäre er in obigem Indifferentismus befangen, etwa anfange, über Gott, über Weltgeschichte, Ewigkeit, Vergeltung usw. nachzudenken und vielleicht ein anderer zu werden.
    Wer immer über die Spinnerin am Kreuz (ein schöner Getreidehügel, über den die Triester Straße führt) oder über einen der Westberge Wiens gegen die Stadt kömmt, der wird die alte ernste große Stephanskirche mitten in dem Häusermeere wie einen Schwerpunkt ruhen sehen und sich dieser Symmetrie erfreuen; aber dies war nicht immer so, sondern bei ihrem Entstehen lag die Kirche sogar außerhalb der Stadt, und wie es eine rührende Sitte unserer Ahnen war, um den Ort, an dem sie sich im Leben Trost und Zuversicht holten, nämlich um die Kirche, auch im Tode zu schlummern, welchen Platz sie mit dem schönen Namen Friedhof belegten: so war es auch um diese Kirche, und manche alten Leute Wiens sagen noch immer statt Stephansplatz Stephansfriedhof, aber es ist kein Friedhof mehr; denn diese Sitte der Altväter ist ebenfalls aus sehr nützlichen Sanitätsrücksichten abgeschafft worden, und heute ragt jede Kirche geradewegs aus dem lustigen Getümmel des Alltagslebens empor und ist fast ein gewöhnliches Haus geworden, so wie sie einst aus den Monumenten des Todes emporstieg und selbst von seinen Schauern umweht war. Oft, wenn ich über diesen Umstand traurig war, dachte ich: wenn sie nur tief genug grüben, so könnten schon die Toten an ihrer Kirche ruhen, und wie wäre es religiös feierlich, wenn jede Kirche, selbst in den Städten, mit einem großen Garten der Toten umgeben wäre, der durch eine Mauer von der leichten Lust der Lebenden getrennt wäre, daß sie ein Gedanke der Ewigkeit anwandeln müßte, wenn sie durch das Gitter einträten.
    Der Stephansfriedhof ist keiner mehr, sondern ein geräumiger Stadtplatz mit schönen Häusern und Warenauslagen, und glänzende Karossen rollen über das Pflaster, unter dem die Reste unserer Vorfahren ruhen – ihre Kreuze und Monumente sind verschwunden, das Lob ihrer Tugenden auf denselben ist verstummt, die Denkmale, die sie einst gründeten, um die Stätten ihrer Angehörigen auf ewige Zeiten zu bezeichnen, sind von unserer Industrie und unserm Verkehre bis hart an die Mauern der Kirche gedrängt worden, wo noch manche Tafel aus rotem Stein übriggeblieben ist, auf dem ein betender Vater mit seinen Kindern ausgemeißelt ist, oder ein liegender Toter selber mit gefalteten Händen, oder Heiligenbilder, oder sonst Embleme und Wappen, wovon manch Stück durch die Zeit herabgeschlagen oder verwittert ist, und darunter steht Namen und Amt, und stehen die Tugenden des Toten – aber wie oft weiß man gar nichts mehr aus der Zeit seines Lebens, und es ist da keiner mehr, um zu sagen: er war unser Ahnherr.
    Es ist in neuesten Zeit, gegenüber von der Rückseite der Kirche, ein sehr großes Haus aufgeführt worden, und als es bereits prachtvoll und wohnlich mit mehr als hundert Fenstern glänzte, als zu ebener Erde schon die grünen Flügeltüren der Verkaufsgewölbe hoch und elegant eingehängt waren und längs derselben ein breites flaches Trottoir hinlief, so ging man auch daran, den Platz vor dem Hause bis zur Kirche zu ebnen und das bisherige schlechte Pflaster zu verbessern. Es mußten
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