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Ein Gang durch die Katakomben

Titel: Ein Gang durch die Katakomben
Autoren: Adalbert Stifter
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anzündeten, und dann ging es nicht über eine Treppe, sondern wie über einen sanften Gang abwärts; ein schwacher Tagesschein fiel in das erste Gewölbe durch einen schmalen Schacht herab, der in den Hof des Deutschen Hauses mündete. Dieses Gewölb war gleichsam eine Vorhalle, und es lagen Stangen, Stroh, Bretter, Tragbahren und dergleichen in dem Winkel, alles von seltsamem, veraltetem Ansehen.
    Dann kamen wir in allerlei Gänge und Gewölbe, die leer waren. Nach Art unserer Voreltern sind die Gänge schmal, und die Gewölbe verhältnismäßig klein und niedrig, aber das Mauerwerk fest und dicht, als wäre es aus einem einzigen riesenhaften Granitblock gehauen worden. Ob wir in diesen Gängen nach Ost oder West, nach Nord oder Süd gingen, konnte keiner von uns erkennen, und da sie sich vielfach kreuzten und die gewölbten Zellen sich alle ähnlich sahen, so war es uns einleuchtend, daß man sich hier verirren und stundenlange herumsuchen könnte, ohne den Ausgang zu finden. Endlich kamen die ersten Bewohner dieser stillen finstern Stadt, nämlich: wie Holz aufgeschichtet, viele Klafter lang und hoch, lauter Knochen von Armen und Füßen – es überläuft einen ein seltsamer Schauer.
    Was werden alle diese Werkzeuge, als sie noch ein denkender Geist belebte, ein liebendes oder hassendes Gemüt stachelte, Schönes, Herrliches oder Entsetzliches getan haben? Und nun liegen sie hier, starr, übereinandergeschichtet, eine wertlose schauererregende Masse.
    In gewissen Abständen, gleichsam symmetrisch geordnet, stecken zwischen ihnen die Köpfe, aber auch auf der Erde liegen bereits Trümmer herum, und der weiche Tritt läßt merken, daß man auf Moder gehe. Ein Führer bedeutete uns, daß man die vielfach zerstreuten Knochen der Katakomben und die einst auf dem Stephansfriedhofe ausgegrabenen hier der Ordnung wegen aufgeschichtet habe.
    Meine Phantasie fing bereits zu arbeiten an, sei es durch den Anblick vor mir aufgeschreckt oder gedrückt durch das Bewußtsein, unter der Erde zu sein. Die Luft trug nichts bei; denn trotz den hier vorgegangenen Akten der Zersetzung waren diese doch schon vor langer Zeit, und es ist seitdem eine solche Trockenheit eingetreten, daß die Luft, durch viele Schachte in Kommunikation mit der äußern erhalten, ganz trocken und rein ist.
    Wir ließen das Licht unserer Kerzen und Fackeln längs des großen Knochenstoßes hingleiten und beleuchteten bald diese, bald jene Partie, und das fahle verwitterte Grau dieser ausgetrockneten uralten Gebeine erglühte düster rot in dem Scheine unserer Lichter, die demungeachtet, trotz der anscheinenden Kleinheit dieser Räume, nicht bis zu den obern Rändern dringen konnten, so daß der Schein in unheimliche geheimnisvolle Schatten überlief, die hoch oben und seitwärts in den Ecken saßen und glotzten. Wenn wir einer Wand nahe kamen, so erglänzte das Gestein der Mauer in allerlei kleinen Flimmern, wahrscheinlich die schönen Glimmertäfelchen des Granites. Auf dem Fußboden war dichter Moder, hie und da ein Splitter, und der Fuß streifte zuweilen an einen Lappen von einst kostbarem und schimmerndem Seidenstoffe.
    Wir gingen weiter in einem Kreuzgange: Ein Schädel mit langen staubigen Haaren lag da. Einer leuchtete ihn an; ich aber mußte augenblicklich die Augen wegwenden, und es rieselte mir seltsam in dem Körper. – »Lassen Sie das liegen«, sagte ein Führer, »Wir werden schon noch mehr solches und besser erhalten antreffen.«' Ei freilich trafen wir es an. An einem viereckigen machtvoll großen Pfeiler stand ein Sarg, ein einziger in diesem Gewölbe, als wäre er von seinem Orte absichtlich hierhergebracht und geöffnet worden und dann stehengelassen; denn wirklich lag sein Deckel nebenan, und zwischen den Brettern, die vom Alter geschwärzt und nur mehr lose zusammenhängend waren, lag der einstige Bewohner dieses gezimmerten Hauses, eine Frau – – ach! wer war sie? Mit welchem Pompe mag sie einst begraben worden sein! Und in welchem Zustande liegt sie jetzt da! Bloßgegeben dem Blicke jedes Beschauers, schnöde auf die bloße Erde niedergestellt, und unverwahrt vor rohen Händen; das Antlitz und der Körper ist wunderbar erhalten – in diese verschlossenen Räume muß die Verwesung nicht haben eindringen können, so daß die organischen Gebilde bloß vertrockneten, aber nicht zerstört wurden – die Züge des Gesichtes sind erkennbar, die Glieder des Körpers sind da, aber die züchtige Hülle desselben ist verstaubt und
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