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Ein Gang durch die Katakomben

Titel: Ein Gang durch die Katakomben
Autoren: Adalbert Stifter
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Bretter und Fugen gelöset, daß ein ganzes Wirrsal derselben herabgegleitet dalag und oben in der Öffnung nackte Füße und Glieder der Toten in die Luft herausstanden, verlassen von der sch¨tzenden und bergenden Wand ihrer Särge, ebenfalls bestimmt, auf den hängenden Brettern vorwärts zu gleiten und endlich wie sie herabzustürzen. Es war ein Anblick, noch erschütternder als jener in dem Gewölbe der Mumien, weil er unmittelbarer das Reich der Verwesung und Zerstörung auftat und näher der Zeit lag, wo alle diese noch wandelten und lebten, weil er eindringender wies, wie auch wir einst werden sollen, und weil das Werk der Vergehung und Vernichtung gleich massenhafter und großartiger ersichtlich war. Auch einen solchen aufgeschichteten Stoß von Kindersärgen sahen wir hervorblicken, einen übereinandergeworfenen Haufen kleiner Häuschen, deren Bewohner starben, ehe sie lebten. Es tat unsäglich wohl, daß man von den Särgen keines der zarten Glieder hervorragen sah, sondern alle verdeckt waren, wahrscheinlich ihres geringen Gewichtes wegen, das die Särge nicht aus den Fugen zu drücken vermochte. Arme kleine Welt!
    Es war ein düster großartiger Anblick, wie wir so dastanden vor dem starren Ruinengewirre und der Lichtblick unserer Fackeln auf dem Granit der Mauer und auf den alten braunen Sargbrettern glänzte – und wie weiter zurück zwischen den Brettertrümmern heraus Finsternis glotzte, und sich unsere Phantasie hinter ihr dieselbe Bevölkerung von Toten vorstellen mußte, immer fortgesetzt und immer fortgesetzt – liegend in der eisernen Nacht, bis einmal diese vorderen zerstäubt sind, und wieder ein anderes Jahrhundert und eine andere Hand das fernere Gewölbe erbricht und die Schläfer dem Lichte der Fackeln bloßlegt, so wie diese da in dem der unsern düster glänzen.
    Es war einleuchtend, daß dieses System von Gewölben, wie weitläufig es auch sein möge, doch einmal angefüllt werden müßte, an welchem Tage sich dann die Gruft von Sankt Stephan auf immer schloß – daß es nur die Mächtigsten und Reichsten sein können, die wir da in dieser Zerwürfnis und schnöder Verlassenheit liegen sahen, und dieser Gegensatz machte die Szene noch tragischer und all den Flitter noch erbärmlicher, um den wir gewohnt sind die andern zu beneiden. Ein Stück Vergangenheit und Weltgeschichte halfen die da bauen, welche da vor uns liegen. Vielleicht sind Helden darunter, ein Todesblick für Feinde; vielleicht sanfte Künstler, die den Himmel des Schönen in ihrer Brust trugen, nicht daran denkend, wie schnöde die Wohnung dieses Himmels einst herumgeworfen werde – vielleicht schöne Frauen und Jungfrauen, deren Auge die Seligkeit der Liebe in andrer Herzen strahlte, und um die der schwärmende wahnsinnige Jüngling seinen Leib dahin vorausschleuderte. Wie sie nun auch liegen: – vorübergegangen ist der Traum, und beide sind sie eine wertlose Masse – vielleicht liegen auch solche da, deren Glieder Samt und Purpur deckte, auf deren Wimper tausend Augen blickten, ob sie freundlich zucke oder zürne, die aus Gold und Silber aßen, jedes Rauhe und Ekle von sich fernehielten, und nun selber ärmer und ekler sind als das Tier des Berges, welches in die Felskluft stürzte und dort in der Mittagssonne dörret und von den Winden der Nacht getrocknet wird.
    Sie alle mühten sich, erwarben, verzehrten, arbeiteten, stiegen empor, verrichteten Taten, die tausend Arme regten sich täglich, die Seelen dachten, die Herzen glühten in Wunsch und Begierde oder in Befriedigung und Triumph, die Leidenschaften kochten und kühlten sich – nun ist alles vorüber, und von dem Gebirge von Arbeiten aus dem Leben dieser ist ein Blatt Geschichte übriggeblieben, und selbst dieses Blatt, wenn die Jahrhunderte rollen, schrumpft zu einer Zeile ein, bis auch endlich diese verschwindet, und die Zeit gar nicht mehr ist, die den darin Lebenden so ungeheuer und so einzig herrlich vorgekommen.
    In die Stille unsrer Betrachtungen tönte jetzt das Wort eines Führers: »Es wird hier, wenn einmal alles ausgegraben und gelüftet sein wird, noch viel weitläufiger und wunderbarer herumzugehen sein als jetzt; denn auch der Boden, auf dem wir in dem Augenblicke wandeln, ist höchstwahrscheinlich wieder nur die Decke von andern Gewölben, die unter uns befindlich sind.« Wirklich war es uns schon öfter, wo wir nicht weichen Moderboden unter den Füßen hatten, vorgekommen, als gingen wir über harte sanft gewölbte Stellen weg. Und als
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