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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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Nachricht ist wiederum, daß die Norweger angeblich kalifornische Reben in den Vororten von Oslo anbauen.)
    »Er hat gar nicht gemerkt, was ihn da traf«, sagt sie gerade und jagt mich mit den Augen. »Sein Sohn hat mir erzählt, daß sie das Ding – es war so groß wie ein Golfball – dann im Beton des Kellers fanden, es qualmte noch.«
    Ich staune. Da sitze ich bei Sake und einem Teller mit kaltem Fisch und habe dieses Bild im Kopf – ein weichgekochtes Ei! Die Welt ist schon ein einsamer Ort.
    »Ty?«
    Ich blicke auf und schüttle immer noch den Kopf. »Willst du noch was trinken?«
    »Nein, nein – hör zu. Weshalb ich hier bin: ich möchte dir was über April Wind erzählen...«
    Ich tue mein Bestes, um ein wenig verletzt und verblüfft dreinzublicken, obwohl ich weder verletzt noch verblüfft bin, nicht allzusehr jedenfalls. »Ich dachte, du wolltest mich aus Liebe sehen – hast du das nicht gesagt? Korrigier mich, wenn ich mich irre, aber ich hatte den Eindruck, daß du wieder, na ja, mit mir zusammen...«
    »Nein«, sagt sie. »Oder ja, doch, das will ich. Aber was mich wirklich hierherbringt, der Grund, weshalb ich dich treffen wollte, das ist April Wind. Sie möchte ein Buch schreiben. Über Sierra.«
    Ich werde nicht mehr so leicht wütend, hat ja keinen Sinn. Aber bei allem, was ich durchgestanden habe – nicht nur damals, sondern auch heute, und wer wird wohl nachher dem Patagonischen Fuchs und den behäbigen fetten Pangolinen hinterherjagen, auf Füßen, die sich anfühlen wie Zementblöcke? –, kann ich nicht anders. »Ich will nichts davon hören«, sage ich und stehe auf, der Teppich quietscht unter meinen Sohlen, das ganze Haus vibriert beim Ansturm der nächsten Bö. Mein Arm, mein rechter Arm vollführt eine beschönigende Geste und bewegt sich wie aus eigenem Antrieb, nicht um Cäsar zu rühmen, sondern um ihn zu begraben. »Sie ist tot, reicht das denn nicht? Was willst du – sie in eine Art Jeanne d’Arc verwandeln? Geh mal vor die Tür. Sieh dich draußen um. Wozu soll diese Scheiße gut sein?«
    Andrea ist eine große Frau, immer noch – in den Schultern, den langen Beinen, die jetzt unter dem Rock eingezogen sind, die Hände –, jetzt aber macht sie sich klein. Sie ist ein obdachloses Kind. Sie ist ausgenützt worden. Sie ist eine Bedrohung, und auf den Gedanken ist nicht sie verfallen, sondern April Wind, die Frau, die mit den Bäumen redet. »Ich finde es eine gute Idee«, sagt sie. »Für die Nachwelt.«
    »Welche Nachwelt?« Ich breite die Arme weit aus. »Das hier ist deine Nachwelt.«
    »Komm doch, Ty – tu’s für Sierra. Laß dich interviewen von der Frau, erzähl ihr deine Geschichte – was macht das schon?«
    Alles zieht sich zusammen und drängt in die Leere in meinem Inneren, der Wind flaut ab, als hätte sich ein Taktstock gesenkt, auch der Regen nimmt eine Auszeit, und der Mop an der Tür gewinnt endlich die Oberhand. Andrea ist ebenfalls aufgestanden, wir sind ein perfekt zueinander passendes Zweiergespann von Jungalten, so jugendlich-verjüngt wie diese Paare, die man in New York oder Paris oder in der Fernsehwerbung für Transplantate sieht, über den Tisch gebeugt, als wollten wir unvermittelt in einer komplizierten Choreographie durch den Saal fegen. »Und was hast du davon? Finderlohn?«
    Keine Reaktion.
    »Übrigens, wie hast du mich eigentlich aufgespürt?«
    In ihrem Lächeln liegt keine Bosheit – eine Spur von Selbstgefälligkeit vielleicht, aber keine Bosheit. Sie hebt die Finger in die Höhe, alle zehn auf einmal. »Übers Internet. Such nach Maclovio Pulchris, und du wärst erstaunt, wieviel sich da findet – und was ich davon habe? Das ist leicht beantwortet: dich. Um dich geht es mir doch.«
    Ich bin gerührt, das läßt sich nicht verleugnen. Mit nach Hause nehmen werde sie ich nicht, niemals, egal, was passiert. Aber ich grinse – ein so klebriges Grinsen, daß man darauf tapezieren könnte. »Sollen wir in ein Motel gehen?«
    »Das mußt du aber nicht tun.«
    Ich grinse immer noch, stelle meine Dentalkorrekturen zur Schau, von Sakedämpfen anästhesiertes Zahnfleisch und die brennenden Augen hinter den beiden Brillengläsern. »Aber ich will es.«
    Der Wind kehrt für eine Zugabe zurück. Musikfetzen wehen von der Bar herüber. Alles lärmt, die ganze Welt, Krach und noch mehr Krach. »Ich werde nicht lange bleiben«, sagt sie. »Und ich werde dir mit den Tieren helfen. Du weißt ja, wie sehr ich Tiere mag...«

Teil 1
Bring sie lebend
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