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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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bleiben – was wir tun, ist gegen das Gesetz, hast du das vergessen? Verdammt, man könnte meinen, wir wären auf einem Naturlehrpfad oder so: Hier hätten wir also den Herrn Specht und dort den großen Baumfarn. «
    Ernüchterte Stille, in die die Grillen ihre ganze Geradflüglerfurchtsamkeit ergießen, aber sie hält natürlich nicht an. Eine weitere Stimme mengt sich dazu, ein Kratzen des Kehlkopfs in dem schwarzen Loch zu seiner Rechten. Das ist Teo, Teo Van Sparks, alias der »Leberkopf«. Vor acht Jahren hat er sich in Hollywood auf dem Rodeo Drive vor Sterlings Pelzwarenboutique aufgestellt, eine Scheibe Kalbsleber mit Fäden auf den kahlgeschorenen Kopf geheftet. Er ließ die Leber verwesen – drei, vier Tage, Fliegen darauf wie eine Dornenkrone, die Maden krochen ihm schon die Nase hinunter –, dann riß er sie sich vom Kopf, um sie einer silberhaarigen Vettel im Chinchilla vor die Füße zu knallen oder einem Filmsternchen, das im Blaufuchs durch die Tür stolzierte. Und am nächsten Tag war er wieder zurück, mit einem neuen Stück Fleisch. Inzwischen ist er einunddreißig und eine große Nummer im Getriebe von Earth Forever! (auf seiner Visitenkarte steht Öko-Agitator ), Gewichtheber mit Bizeps, Trizeps, Brust- und Rückenmuskulatur zum Herzeigen, und es gibt nichts über die Natur, was er nicht weiß. Jedenfalls würde er es nie zugeben. »Tut mir leid, Mädels«, sagt er, »aber nach den meisten Schätzungen gibt’s nicht mal mehr fünfhundert brütende Fleckenkauzpaare in der gesamten Küstenregion von British Columbia bis runter zur südlichen Sierra, deshalb bezweifle ich...«
    »Weniger«, korrigiert Andrea ihn auf ihre pedantische Art. Sie hat heute nacht das Kommando, und sie wird sie alle zurechtweisen, selbst wenn es um Kleinigkeiten der Grammatik und des Sprachgebrauchs geht. Wenn sie ihre Befehle einfach nur methodisch und leidenschaftslos erteilte, das ginge ja noch – aber sie ist so herablassend, so selbstzufrieden, anmaßend und rechthaberisch. Er weiß nicht, ob er das aushält. Nicht heute nacht.
    »Stimmt, noch weniger. Das meine ich ja, wahrscheinlich war es ein Rauhfußkauz oder eine Waldohreule oder sogar ein Uhu. Natürlich müßten wir den vollständigen Ruf hören, um sicher zu sein. Der Fleckenkauz hat einen schrillen Schrei, den er drei-, viermal ausstößt, sehr dicht aufeinander, immer lauter.«
    »Warum rufst du ihn dann nicht?« flüstert Sierra, und die Stille der Nacht ist keine Stille, sondern der tosende Hintergrund einer dicht bevorstehenden, katastrophalen Überraschung. »Damit er antwortet. Und dann wüßten wir’s, oder?«
    Bildet er es sich ein, oder spürt er, wie ihm der Boden unter den Füßen entgleitet? Er ist blind, vollkommen blind, zieht die Schultern ein in Erwartung des ersten unerwarteten Schlags, sein Atem geht rasch, das Herz hämmert gegen das Gitter seines Käfigs. Und die anderen? Die gehen nebeneinander die Straße entlang wie Touristen auf einer Mole, laut und gemächlich, gedankenlos. »Und da wir gerade dabei sind«, sagt er und ist überrascht von der Vehemenz seiner Stimme, »möchte ich dich was fragen, Andrea – hast du an die Windeln gedacht? Oder wird das ein weiterer Fall in der langen Serie von, von...«
    » Wobei sind wir gerade?«
    »Dabei. Beim Thema Unauffälligkeit und perfekte Vorbereitung.«
    Er spricht ins Nichts hinein, in die Leere vor ihm, er geht die unsichtbare Straße entlang und stößt Wortketten aus wie ein brabbelnder Penner. Das Käuzchen ruft noch einmal, dann hört man etwas anderes, ein knatterndes, hartes Schaben in der Finsternis.
    »Natürlich hab ich an die Windeln gedacht.« Besänftigend fährt die große, männliche Hand seiner Frau über das doppelt abgesteppte Nylon ihres Rucksacks. »Und an die Sandwiches und die Vollkornriegel, sogar an Sonnencreme. Meinst du, ich weiß nicht, was ich hier tue? Willst du das andeuten?«
    Er will gar nichts andeuten, aber er ist knapp davor, sich ungeahnt drastisch auszudrücken. Die Flitterwochen sind vorbei. Er riskiert hier Verhaftung, Demütigung, körperliche Mißhandlung oder noch Schlimmeres – und zwar für sie, alles nur für sie, oder jedenfalls ihretwegen –, und ihr Tonfall ärgert ihn. Er will es ihr heimzahlen, sie irgendwie erwischen, einen schönen altmodischen Ehestreit vom Zaun brechen, aber statt dessen läßt er die Stille für sich sprechen.
    »Was für Sandwiches?« will Sierra wissen, eine gepreßte, schüchterne Anfrage, die sie in das
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