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Ein Freund aus alten Tagen

Ein Freund aus alten Tagen

Titel: Ein Freund aus alten Tagen
Autoren: Magnus Montelius
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diesen zahllosen Blättern das stand, was er mehr als alles andere fürchtete. Vielleicht wunderte er sich aber auch über den Kontrast zwischen dieser akribischen Ordnung und Meijtens sonstiger Erscheinung.
    Als Meijtens sein Notizbuch aus der Innentasche des Jacketts zog, fiel ihm auf, dass das Futter noch etwas weiter eingerissen war. Das ließ sich nicht ändern. Im Grunde benötigte er weder den Ordner noch seine Notizen, sie waren bloß Requisiten. Jedes kleine Detail, das er in den letzten Monaten gefunden hatte, lag fein säuberlich in seinem phänomenalen Gedächtnis archiviert.
    »Okay, wir wissen Folgendes.«
    Ruhig und sachlich referierte er die Informationen, die er recherchiert hatte, und die Schlussfolgerungen, die er aus ihnen gezogen hatte. Obskure kleine Berichte aus verschiedenen kommunalen Ämtern, Gutachten von einigen niederen Beamten und Informationen aus anderen Quellen innerhalb der Stadtverwaltung. Er wusste, dass Sjöhage Fakten und klare Strukturen respektieren würde. Das war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, aber manchmal unterbrach er dennoch den Vortrag und wollte wissen, wer was gesagt hatte. Als Antwort lächelte Meijtens nur freundlich und bewegte sich zielstrebig und systematisch zu dem entscheidenden Punkt im vergangenen Jahr vor, als der Mann, der ihm nun schwitzend gegenübersaß, der Verwaltung völlig neue Anweisungen erteilt hatte. Das geplante Naherholungsgebiet neben dem Bootshafen sollte auf einmal in ein Wohnungsbauprojekt umgewandelt und der Ankauf direkt über die Stadtverwaltung abgewickelt werden. Eine schäbige kleine Geschichte, wie sie die Leser von 7Plus lieben würden.
    Sjöhage hatte in den letzten Tagen Tics entwickelt, als hätte seine Rüstung unter dem einen Nasenflügel einen winzigen Riss bekommen und ein zitterndes Inneres entblößt.
    Meijtens verstummte und sah auf die Uhr. Jetzt hing alles davon ab, was Sjöhage sagen würde. Meijtens’ Finger, die den Stift umschlossen, wurden weiß. Jetzt komm schon, erzähl’s mir. Er brauchte die Bestätigung heute, so lautete das Ultimatum der Redaktionsleitung.
    »Als wir uns vor sechs Monaten sprachen …«
    »Ich habe gedacht, Sie wären ein Taxifahrer.«
    »Ich war auch Taxifahrer. Da meinten Sie, dass Sie neue Anweisungen erhalten hätten. Wir glauben zu wissen, von wem, und wir sind uns auch fast sicher, was die Gründe betrifft.«
    »Ich habe nur gesagt, dass ich die Politiker satthabe. Und dann wollte ich den Bootshafen sehen, solange es ihn noch gibt. Das war doch alles nur betrunkenes Geschwätz.« Sjöhage konnte den Blick nicht von dem Ordner nehmen. »Wie viel Zeit haben Sie eigentlich darauf verwandt, das alles zusammenzutragen?«
    Das war eine durchaus relevante Frage, die ihm auch Hanna in den letzten Monaten mehrmals gestellt hatte. Der stellvertretende Chefredakteur hatte sich das ebenfalls gefragt. Aber Meijtens sah keine Veranlassung, in diesem Augenblick darauf einzugehen.
    »Wissen Sie, ich habe mich über Sie erkundigt«, platzte Sjöhage heraus. »Laut Protokoll haben Sie Einsicht in Hunderte von Akten beantragt, und ich weiß, dass Sie bestimmt zwanzig Beamte kontaktiert haben.«
    Meijtens studierte seine Hände. Das kam ungefähr hin.
    »Und dabei haben Sie bei diesem Magazin nicht einmal eine feste Stelle.«
    Offenbar würde es nicht klappen. Stattdessen würde Sjöhage nur immer bockiger werden und sich nicht vom Fleck rühren. Meijtens rührte den letzten Rest Kaffee in seiner Tasse um und war beeindruckt von Sjöhages Loyalität, obwohl dieser sich sowohl hintergangen als auch ausgenutzt fühlen musste. Wenn die Dinge wirklich so lagen, wie Meijtens annahm.
    In den letzten Wochen hatte er mit Sjöhage gelebt und geatmet, trotzdem war ihm der Mann noch immer ein psychologisches Rätsel. Meijtens war eher zufällig über seine pietistische Herkunft gestolpert, denn den strengen Glauben seiner Eltern hatte Sjöhage längst zugunsten eines Lebens für die Politik und die Partei aufgegeben. Er hätte gerne die Gründe gekannt und fragte sich, was Sjöhage in diesem Moment dachte.
    »Ich habe bereits genügend Material für einen ganz ausgezeichneten Artikel zusammen, aber das reicht mir nicht, da fehlt noch etwas.«
    Sjöhage fragte ihn nicht, was es war, er wusste es. Meijtens wartete.
    »Ich will die wahre Geschichte schreiben«, sagte er schließlich.
    Sjöhage starrte auf die Tischplatte. »Ich kann nicht. Das wäre nicht richtig. Sie haben ja keine Ahnung, welche Konsequenzen
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