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Ein Freund aus alten Tagen

Ein Freund aus alten Tagen

Titel: Ein Freund aus alten Tagen
Autoren: Magnus Montelius
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niederlegen konnte, sah er eine Träne über ihre Wange laufen. Nach einem weiteren Gitarrenstück und einem Gedicht von Göran Sonnevi, das jemand vortrug, war es vorbei. Jedenfalls dachten das die Trauergäste. Doch dann erhob sich Arvid Lindman und stimmte, den Blick fest auf den Sarg gerichtet, die Internationale an. Anfangs leise und krächzend, dann immer überzeugter und sicherer, je besser er die richtige Tonlage fand.
    Die übrigen Trauernden erhoben sich, anfangs unsicher und eher aus Rücksicht auf den Vater des Verstorbenen als wegen des Lieds. Doch schließlich standen sie alle da, und Meijtens ließ den Blick über die Trauergemeinde schweifen. Manche sangen mit, andere bewegten pflichtschuldig ihre Lippen, und wieder andere – er selbst und Frieda Stiernspetz eingeschlossen – standen nur aus Respekt. Wijkmans Lippen bewegten sich mechanisch, und sein Blick war auf den Sarg gerichtet. Sonia Terselius sang laut und schön, ihre Altstimme füllte die kleine Kapelle, und Meijtens sah, dass sie weinte.
    Als sie die Kirche verließen, hakte Frieda Stiernspetz sich erneut bei Meijtens ein. Er war ihr dankbar, weil er davon ausging, dass dies weitere Attacken von Sonia Terselius verhindern würde. Sie gingen auf den Friedhof hinaus.
    »Henric liegt hier begraben. Ich würde gerne sein Grab besuchen«, sagte Frieda Stiernspetz.
    Meijtens nickte und begleitete sie auf einem der schmalen Waldwege, die zu den Gräbern führten. Offenbar kam Frieda Stiernspetz oft hierher, denn sie führte ihn zielstrebig zwischen den Grabsteinen entlang. Dann blieben sie einige Minuten schweigend vor dem sorgsam gepflegten Grab stehen.
    »Wissen Sie, was es war?«, fragte sie ihn schließlich. »Was Erik Lindman mich fragen wollte, bevor er starb?«
    Er sah sie an. Hatte sie ihn so entschlossen mitgenommen, um ihm diese Frage zu stellen?
    »Ich denke, ich weiß es«, erklärte er schließlich. »Er wollte Sie fragen, ob Ihr Mann Kontakt zu einer ganz bestimmten Person hatte.«
    »Und was hatte diese Person mit Henric und Erik Lindman zu tun?«
    »Er war der Spion. Den beiden wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zusammenhängen die Schuld für seine Verbrechen in die Schuhe geschoben.«
    Er hatte das Gefühl, ihr noch etwas schuldig zu sein, weshalb er ihr von dem Überläufer in Den Haag und von Sorokin erzählte, von den Informationen über Tristan, für die eine Erklärung gefunden werden musste, um den Staatsschutz und die militärische Spionageabwehr zu beruhigen.
    Sie betrachtete das Grab. »Warum hat man ausgerechnet Henric die Schuld in die Schuhe geschoben?«
    »Ich weiß es nicht, aber es könnte Zufall gewesen sein. Er hatte Zugang zu den gleichen Informationen, und sie haben diese alte Geschichte ausgegraben. Vermutlich fanden sie, dass er ein geeigneter Kandidat war.«
    Sie schauderte, und Meijtens bereute seine Wortwahl.
    »Und warum wurde Erik Lindman geopfert?«
    »Ich glaube, in seinem Fall lagen die Dinge etwas komplizierter.«
    »Dieser Spion, Tristan, hat Erik Lindman ermordet?«
    »Wahrscheinlich. Wenn er es nicht selbst getan hat, dann war es ein anderer in seinem Auftrag.«
    Sie schwiegen erneut. Sonnenstrahlen fielen zwischen den Kiefern hindurch, und einige Gräber weiter kämpfte ein älterer Herr damit, Heidekraut in die kalte Erde zu pflanzen.
    »Werden Sie über das Ganze schreiben?«, fragte sie schließlich.
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Wird es ein anderer tun?«
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie wandte sich zu ihm um. »Warum nicht?«
    »Weil Tristan tot ist. Weil es schwer zu beweisen ist. Und vor allem weil es zu viel Staub aufwirbeln würde. Viele finden bestimmt, dass zwei unschuldig Angeklagte zu leicht wiegen.«
    »Ich nicht«, entgegnete sie und strich mit den Fingerspitzen über den Rand des Grabsteins.
    Als sie zurückgingen, wurde Meijtens schlagartig bewusst, dass sie ihm die zentrale Frage nicht gestellt hatte. Die nach Tristans Identität. Er fragte sich nach dem Grund. Dann sah er Åke Sundström auf einer Bank gegenüber der Kapelle sitzen. Er starrte ins Leere, als hätte er keine Gefühle mehr in sich. Frieda Stiernspetz folgte seinem Blick.
    »Das muss schwer für ihn sein«, sagte sie. »So seinen Jugendfreund zu verlieren, ohne die Chance zu haben, noch einmal mit ihm zu sprechen. Schrecklich.«
    Meijtens nickte. Ein Windstoß wirbelte Herbstlaub auf. Irgendetwas in seinem Unterbewusstsein störte ihn, aber er kam nicht darauf, was es war.
    Frieda
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