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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer
Autoren: Andreas Kieling
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in Ostsibirien, China und Japan beheimatete Art wanderte aus der Ukraine, wo in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts an die 10000 dieser Tiere aus Pelztierfarmen ausgesetzt worden waren, bei uns ein. Andere Tiere fanden in den Ballasttanks von Schiffen ihren Weg nach Deutschland, zum Beispiel die Chinesische Wollhandkrabbe. Sie wurde in ihrer Heimat mit dem Wasser in die Ballasttanks gepumpt und im Hamburger oder einem anderen Hafen rausgepült. Viele eingeschleppte Tiere sterben recht schnell, weil sie mit dem Klima und den Lebensbedingungen hier nicht klarkommen. Andere finden es in der neuen Heimat klasse, wie unter anderem eben die Wollhandkrabbe. Sie ist in vielen Flussläufen zur regelrechten Plage geworden. Nichts gegen Neozoen, aber sie können viele Probleme auf den Plan rufen.
    Alles in allem halten sich die Gefahren durch Neozoen bei uns in Grenzen. Ganz anders sieht das zum Beispiel in Australien und Neuseeland aus. Die Aga-Kröte vom amerikanischen Festland, die 1935 zur biologischen Schädlingsbekämpfung nach Australien geholt wurde, hat sich dort so immens verbreitet, dass in groß angelegten Kampagnenzur Tötung der Tiere aufgerufen wird, da ihr Gift selbst Krokodile töten kann. Ein Experiment, das in doppelter Hinsicht schiefgelaufen ist, da die Schädlinge weiterhin prächtig gediehen. Wie man nämlich erst später herausfand, war der anfängliche Schädlingsrückgang, der nach dem Import der Aga-Kröte im Jahr 1920 in Puerto Rico zu beobachten gewesen war und der schuld daran war, dass man das Gift-Vieh nach Australien holte, gar nicht den Aga-Kröten zuzuschreiben, sondern klimatischen Veränderungen. In Neuseeland haben eingeschleppte Arten beispielsweise den Kakapo, einen flugunfähigen Papagei, an den Rand der Ausrottung getrieben. Nur dank dem aufwendigen Kakapo Recovery Program und der aufopferungsvollen Arbeit von Tierschützern sowie vor allem der Umsiedlung der letzten überlebenden Kakapos auf eine von Ratten, Katzen und anderen Fressfeinden freie Insel konnte die Art gerettet werden.
    Das Ganze ist ein interessantes Naturthema, auch, wie unterschiedlich Gesetze sind: Offensichtlich waren die Nandus am Ratzeburger See frei lebende Tiere, da ich weit und breit keinen Zaun sah. Wie ich später erfuhr, waren im Jahr 2000 – in der TV -Reihe sagte ich fälschlicherweise 1989 – sieben Nandus aus einer Privatzucht in Groß Grönau, Schleswig-Holstein, ausgebüchst und über das zugefrorene Flüsschen Wakenitz nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Dort fanden die Laufvögel fast optimale Lebensbedingungen vor, denn in den wenigen, seither vergangenen Jahren wuchs der Bestand bis 2009 auf etwa 120 Tiere an. In Schleswig-Holstein hätte die Naturschutzbehörde wahrscheinlich gesagt: »Pass auf, lieber Nandu-Züchter, wir geben dir drei Wochen. Bis dann hast du die Tiere eingefangen, oder wir schießen sie ab.« In Mecklenburg hat man gesagt: »Oh, Neuankömmlinge, Neubürger.Mal gucken, was daraus wird – vielleicht sogar ein kleinen Touristenmagnet …« Tatsächlich gibt es heute ornithologische Wanderungen und geführte Gruppen zu den Nandus.
    Von all dem wussten Cleo und ich, als wir die Nandus entdeckten, sehr wenig bis nichts. Vor allem wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, wie gefährlich diese Tiere mit ihren extrem muskulösen Beinen und der großen, scharfen Mittelkralle werden können, die sie wie die Strauße als Waffe einsetzen – vor allem Männchen, die gerade brüten oder den Nachwuchs großziehen, was bei den Nandus alleinige Aufgabe der Väter ist.
    Ich beobachtete die Tiere durch das Fernglas, als ich plötzlich sah, dass Cleo auf einen Nandu mit Küken zulief, nicht in Jagdmanier, sondern aus Neugierde. Das waren Tiere, die sie nicht kannte, mit einem Geruch, der ihr fremd war. Da muss man doch mal gucken. Der Nandu-Papa bemerkte Cleo und ging ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken sofort zum Angriff über.
    Da ich von Nandus keine Ahnung hatte und die Tiere trotz ihrer Größe – im Schnitt gut ein Meter Rückenhöhe, den langen Hals mitgerechnet bis zu ein Meter siebzig – nicht wirklich gefährlich aussehen, hielt ich das Ganze für einen Scheinangriff, nahm den Fotoapparat hoch, schoss ein paar Bilder und wartete einfach mal ab. Was im nächsten Moment passierte, verschlug mir fast den Atem: Der Nandu trat derart heftig nach Cleo, dass mein Hund in einer riesigen Staubwolke regelrecht in die Luft geschleudert wurde. Augenblicklich lief ich los, um Cleo zu
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