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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer
Autoren: Andreas Kieling
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das Männchen vorführen, wenn ihr wollt, ich habe es ein bisschen abgerichtet«, schlug Jan vor.
    »Du hast was?«, fragte ich erstaunt.
    »Ihn ein bisschen abgerichtet«, wiederholte er. »Aber er macht es nur einmal, und wenn ihr dann eure Kameras bereit habt, kriegt ihr vielleicht schöne Aufnahmen.«
    »Was macht er nur einmal?«, wollte nun Markus wissen.
    »Sich den ersten Fisch aus dem Beifang holen. Bevor die Möwen auftauchen. Mit denen hat er ein Problem. Er mag das laute Gekreische und wilde Durcheinandergeflattere nicht.«
    Ein Fischer hat in seinem Netz immer Beifang: Plötzen, Brassen, Güstern, Rotfedern, Karauschen und andere Weißfische, mit denen man nicht viel anfangen kann. Wie im Märchen von Aschenputtel heißt es dann: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Während die »guten«, in Jans Fall vorwiegend Maränen, in die Fischkisten wandern, fliegt der Beifang über Bord zurück ins Wasser. Dann dauert es nicht lange, bis die Möwen kommen und sich quasi an die gedeckte Tafel setzen. Seit Richard Bach und der Möwe Jonathan weiß man ja, dass es Möwen gibt, die von nichts anderem leben.
    »Holt er in sich aus der Hand?«, rief Markus völlig verdattert.
    »Nee«, lachte Jan, »die brauche ich noch. Was glaubst du wohl, wie die aussehen würde, wenn der Adler seine Krallen reinschlägt!«
    »Hm, klar, blöde Frage«, gestand Markus ein. »Aber wie läuft es denn dann ab?«
    »Sobald ich den Adler irgendwo entdecke, zeige ich ihm einen Fisch. Dann kommt er angeflogen, und kurz bevor er das Boot erreicht, werfe ich den Fisch ins Wasser. Ich darf ihn nur nicht zu früh werfen, damit der Adler ihn noch erwischen kann, bevor er absinkt. Adler tauchen ja nicht.«
    Kurz darauf sahen wir den Seeadler hoch oben auf dem trockenen Ast einer Eiche sitzen, einen oder anderthalb Kilometer von uns weg, mit dem Fernglas aber gut erkennbar. Jan holte das Netz ein: Maräne, Maräne, ein kleinerer Weißfisch – »Zu klein«, murmelte Jan und legte das Fischlein zunächst ins Boot –, wieder eine Maräne, drei Plötzen …
    »Die ist schön groß«, meinte Jan und zeigte eine der Plötzen dem Seeadler, hielt sie gut sichtbar am ausgestreckten Arm, wedelte ein bisschen damit herum, bis der Adler von seinem Ast abhob und direkt auf uns zuflog.
    »Wo soll ich die Plötze hinwerfen?«, fragte Jan.
    »Der kommt! Der kommt tatsächlich!«, flüsterte ich Markus zu, der wie ich einfach nur dasaß und Bauklötze staunte.
    »Hey, ihr beiden! Wo soll ich die Plötze denn nun hinwerfen?«, weckte Jan Markus und mich aus unserer Erstarrung.
    »Ja, äh«, haspelten wir und gerieten leicht in Panik. Wohin mit dem Fisch? Hektisch sahen wir uns um, während der Seeadler immer näher kam. Fünfhundert Meter, dreihundert Meter …
    »Wirf sie hier so zehn Meter vor uns ins Wasser!«, deutete ich schließlich auf eine Stelle im See.
    Die Plötze beschrieb einen hohen Bogen in der Luft, aus dem Augenwinkel sah ich Möwen heranfliegen, der Fisch klatschte etwa zehn Meter vor uns aufs Wasser. Im selben Moment fuhr der Seeadler seine riesigen Fänge aus, schnappte sich die Plötze und flog mit ihr auf eine siebenhundert Meter entfernt stehende Eiche, wo er den Fisch zu kröpfen begann. Ein grandioses Schauspiel.
    »Das gibt es nicht!«, rief ich, total aus dem Häuschen, dass ein Adler zum Fischer kommt. »Unglaublich!«
    Markus und ich waren uns einig: tolle Story, tolle Bilder, tolles Morgenlicht, riesiger Adler!
    »Mensch, mach das noch einmal, Jan.«
    »Ich habe es euch doch schon gesagt: Das funktioniert nur einmal am Tag. Morgen vielleicht wieder.«
    Wir ließen nicht locker, und irgendwann gab sich Jan geschlagen und startete einen zweiten Versuch. Aber der Adler kam nicht zurück, obwohl er von der einen Plötze nicht satt sein konnte.
Auf der Hollywoodschaukel
    Nun wieder ohne Markus, zogen Cleo und ich weiter. Die Wanderung entlang dem See war gar nicht so einfach. Zum Teil folgten wir Wildschweinwechseln, zum Teil kleinen Wanderwegen. Manche dieser Wanderwege führten in kleine, verträumte Buchten, in denen die einheimische Bevölkerung wie früher in meiner Kindheit badete.
    »Wenn du schon schwimmen gehst, dann wasch dich gleich«, sagte meine Großmutter damals und drückte mir ein Stück Seife in die Hand. Dann musste ich mich vonKopf bis Fuß einseifen, bevor ich ins Wasser durfte. Ökologisch bestimmt nicht einwandfrei, aber wer wusste das vor vierzig Jahren? Heute sieht das anders aus, und trotzdem
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