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Ein delikater Liebesbrief

Ein delikater Liebesbrief

Titel: Ein delikater Liebesbrief
Autoren: Eloisa James
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Trauer
    Ihr erster Gedanke war, dass er aussah wie ein griechischer Gott, und zwar einer von der intelligenten, nicht der hedonistischen Sorte. Wenn er allerdings ein griechischer Gott war, dann musste er der Schutzgott der Schneider sein, denn er war bei Weitem der eleganteste Mann, den Henrietta je zu Gesicht bekommen hatte. Statt sich in Dunkelbraun zu kleiden wie die meisten Männer auf Reisen, trug dieser Schneidergott ein zweireihiges Jackett mit rehbraunen Aufschlägen, dazu blassgelbe Hosen. Seine Stiefel waren so glänzend poliert, ihr Schaft so elegant gebogen, wie Henrietta es noch nie gesehen hatte. Zudem war sein Halstuch mit Spitze gesäumt und in überaus komplizierter Art um seinen Hals geschlungen.
    Seine Augen glitten über ihr zerknittertes Kleid, und sie glaubte zu sehen, dass er die Nase rümpfte. Gewiss, sie roch nach saurer Milch und Erbrochenem. Der Geruch drehte ihr fast selbst den Magen um.
    Doch er sagte nichts, richtete seine Aufmerksamkeit lediglich auf Josie, deren missmutiges kleines Gesicht mit dem goldbraunen Haar und den erhobenen Augenbrauen eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit dem väterlichen zeigte. Der Mann schien es nicht sonderlich übelzunehmen, dass das kleine Mädchen sich der Länge nach auf dem Boden ausgestreckt hatte.
    Stattdessen fragte er mit mildem Interesse: »Hast du dich beim Spielen auf dem Hof so schmutzig gemacht, Josie?«
    Henriettas aufgestauter Unmut brach sich nun Bahn. »Ich kann schwerlich glauben, Sir, dass Sie so wenig Sorge um Ihre Kinder zeigen. Diese beiden Kinder haben nicht auf dem Hof gespielt. Sie hatten bereits eine weite Strecke auf der High Street zurückgelegt und zwei Kreuzungen überquert, als ich sie sah. Und da wir heute in Limpley Stoke Markttag haben, fürchte selbst ich mich davor, diese Straße zu überqueren!«
    Man musste dem Mann zugutehalten, dass er nun ein wenig bestürzt wirkte. »In diesem Falle stehe ich natürlich in Ihrer Schuld«, sagte er mit einer Verbeugung. Doch bereits seine nächste Frage bewies Henrietta, dass er offensichtlich mit dem Teufel verwandt war. »Ich nehme an, dass dies Anabel ist, die Sie auf dem Arm halten?«
    Henrietta zog ihre Brauen hoch und blickte ihn verächtlich an. »Ist es zu viel verlangt, zu hoffen, dass Sie Ihr eigenes Kind erkennen?«
    »Dazu ist keine besondere Anstrengung erforderlich«, lautete die Erwiderung. »Der traurige Geruch, der ihr anhaftet, weist sie unzweifelhaft als Anabel aus. Gyfford, ich hätte nicht gedacht, dass Sie so rasch ein neues Kindermädchen auftreiben würden, auch wenn sie mir ein wenig« – er bedachte Henrietta mit einem trägen Lächeln – »aufgewühlt erscheint. Ich bin mir aber sicher, dass Sie in der Lage sein werden, diese beiden Geschöpfe gut zu versorgen, Miss. Dürfte ich wohl fragen, wo Sie vorher angestellt waren?«
    Gyfford und Henrietta sprachen gleichzeitig.
    »Ich bin nicht …«
    »Sie ist kein Kindermädchen«, sagte Gyfford schockiert. »Darf ich Ihnen Lady Henrietta Maclellan vorstellen, Mr Darby? Ihr Vater war der Earl of Holkham.«
    Henrietta beobachtete skeptisch, wie Mr Darby sich erneut elegant verneigte, wobei er völlige Unbekümmertheit an den Tag legte. Sie hatte wenig Interesse an einer Fortsetzung der Unterhaltung mit einem herausgeputzten Lackaffen, der nicht einmal die eigenen Kinder erkannte. Diese aalglatte Person war ebenso ungehobelt wie die meisten Angehörigen seines Geschlechts.
    Doch offenkundig war er sich keines Vergehens bewusst. »Ich schließe daraus, dass Anabel ihr Mittagessen mit der ihr eigenen Anmut wieder von sich gegeben hat.« Er rümpfte ein wenig seine äußerst wohlgeformte Nase. »Dafür bitte ich herzlich um Entschuldigung, Lady Henrietta. Und« – jetzt wirkte er beinahe aufrichtig – »ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie die beiden kleinen Streuner gerettet haben. Ihr Kindermädchen war heute Morgen nicht ganz bei sich und so haben die beiden vermutlich einen hysterischen Anfall ausgenutzt, um sich zu entfernen.« Er wandte sich mit einem bezaubernden Lächeln an Gyfford. »Könnten Sie uns vielleicht ein Schankmädchen zur Verfügung stellen, das uns bis zum Hause meiner Tante begleitet?«
    Gyfford wieselte so eilig aus dem Zimmer, dass er die Tür zu schließen vergaß, was Darby sogleich nachholte. Er bewegte sich mit einer Art gezähmter Eleganz, wie eine Raubkatze, die Henrietta einmal in einem Wanderzirkus gesehen hatte. Sie verspürte eine leise Verstimmung. Wie einfach
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