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Ein cooler Typ aus der Hölle

Ein cooler Typ aus der Hölle

Titel: Ein cooler Typ aus der Hölle
Autoren: Stefan Wolf
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machen. Eine Schlampe im Spielclub oder sonstwo.
    Sie trat in die Zelle, ohne es
eigentlich zu wollen. Kältestarre Finger holten die Telefonkarte aus der
Umhängetasche.
    Volker hatte ein Handy. Volker
war ihr Freund. Sie wählte und er meldete sich.
    „Merzal, Volker Merzal. Guten
Abend!“ Er war immer sehr höflich.
    „Volker! Ich bin’s
    „Hallo, Katja! Wie... klingst
du denn? Was ist?“
    „Du weißt doch, was ist.“

    „Ja. Ja, natürlich. Ich hab’s
ständig im Kopf. Dein Problem, mein Problem. Wahrscheinlich kann ich heute
Nacht wieder nicht schlafen. Vielleicht werde ich ein Bier trinken. Das macht
zwar nicht stark“, er versuchte, witzig zu sein, „aber man fühlt sich wie
Samson und Rambo in einem Body. Zwei Bier“, lachte er, „und ich nehm mir den
Dowara vor und zerquetsch ihn an der Wand.“
    Katja schwieg. Die Tränen
rannen lautlos.
    „Blöd!“, sagte Volker. „Ist nur
Galgenhumor. Aber irgendwie kommen wir da raus. Die können uns ja nicht
umbringen.“
    Jetzt ließ sich ihr Schluchzen
nicht mehr unterdrücken.
    „Ich hau ab.“
    „Was?“
    „Ich bin schon unterwegs. Ich
verstecke mich irgendwo. Meinen Eltern kann ich mich nicht anvertrauen. Ich...
ich... Such nicht nach mir! Wenn ich erst mal weg bin, kann mir auch keiner was
tun. Irgendwann melde ich mich wieder. Tschüs!“
    „Katja!“ Volker brüllte in sein
Handy. Aber sie hatte schon eingehängt.
    Wohin? Sie hastete weiter, die
Straße entlang, bog dann ab in ein Stadtrand-Viertel, wo auf kleinen
Grundstücken bescheidene Einfamilienhäuser stehen oder auch Gewerbebetriebe im
Mini-Format. Der Schnee war matschig, in den Gärten lag noch Laub, Katjas
linker Stiefel war undicht, der Fuß wurde nass und noch kälter.
    Sie war 15, ein hübsches
Mädchen, dessen Zartheit rührend wirkte. Die braunen Augen blickten immer
erschreckt, auch wenn alles okay war. Blondes Haar, dünn und seidig wie an
einem Rauschgoldengel, eine extrem schlanke Figur, obwohl Katja nie hungerte.
Im Gegenteil: Immer wenn ihr Angstgefühl, das bei ihr stärker ausgeprägt war
als bei allen, die sie kannte — wenn das überhand nahm, futterte sie wie eine
Süchtige, als könne man sich auf diese Weise Mut einverleiben. Oft war ihre
Angst unbegründet — eine seelische Überempfindlichkeit, leider angeboren und nie
behandelt worden. Diesmal aber — das wusste sie genau - bestand aller Grund,
sich zu fürchten.
    Wohin? Sie hatte nur wenig
Geld, außerdem einen City-Rucksack mit persönlichen Sachen und die kleine
Umhängetasche. Sonst nichts. Ein Pensionszimmer kam nicht in Frage. Katja
schwebte etwas anderes vor: ein winterfestes Gartenhaus, in dem sie sich
verkriechen konnte, ein beheiztes Kellerzimmer in einem unbewohnten Gebäude.
Oder...
    Sie befand sich jetzt in der
Prestel Straße, wo der Abstand zwischen den Straßenlaternen offenbar größer war
als in der übrigen Stadt. Jedenfalls wirkte hier alles dunkler. Wind fauchte
durch die Gärten und pflückte die letzten Blätter von den Bäumen. Jägerzäune
mit über Kreuz genagelten Latten wechselten sich ab mit Hecken oder schmucklosem
Drahtgeflecht. An dem vorbei gelangte Katja zu der geöffneten Einfahrt.
    Neben dem Tor hing ein Schild:
MARTINS GARTENSERVICE — daneben eine Telefon- und eine Fax-Nummer.
    Für einen Moment atmete das
Mädchen befreit. Sie wusste, wer dieser Martin war. Martin Mcfish — ein Ire
oder Schotte, Engländer offenbar nicht. Das hatte er mal erklärt - mit schiefem
Gesicht, was wohl hieß, dass er England nicht mochte. Er versorgte bei Merzals
den Garten. Fester Auftrag rund ums Jahr, Schneeschippen eingeschlossen. Sie
und Volker hatten sich mit ihm auf Englisch unterhalten, obwohl Martin gut
Deutsch sprach. Er war ein kerniger, sympathischer Typ, den man sich auch mit
Krawatte hinterm Schreibtisch vorstellen konnte. Katja mochte den grauäugigen
Blick und Volker war ein bisschen eifersüchtig gewesen, aber nur ein bisschen —
denn er und Katja galten als unzertrennliches Paar, fast so unzertrennlich wie
die Beziehung zwischen Gaby und Tim.
    Katja verharrte.
    Im Haus war kein Licht. Es
stand zurückgesetzt von der Straße. Martin lebte allein. Aber dort war der
Schuppen, ein langgestreckter, L-förmiger Schuppen, dessen überdachter
Innenwinkel als Kfz-Stellplatz diente. Der Schuppen enthielt sicherlich alles
an Geräten, was ein Service-Mann braucht, und sah richtig gemütlich aus mit dem
soliden Betonfundament und den winddichten Fenstern.
    Das isses. Erst mal.
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