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Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser
Autoren: Cate Tiernan
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mich, ob ich vielleicht unter einem Zauber stand. Uups. Was zur Hölle tat ich hier eigentlich? Wenn Thais recht hatte mit dem, was sie über Daedalus gesagt hatte, dann verhielt ich mich gerade unfassbar dumm. Aber wenn sie falschlag …
    Daedalus stand nur ein paar Meter von mir entfernt und beobachtete mich.
    Ich hob mein Kinn ein wenig an, als wäre ich im Begriff, mich auf eine Mutprobe einzulassen, als hätte ich nicht diese furchtbare Angst, er könne gerade alle meine Erinnerungen aus meinem Verstand gelöscht haben.
    Nein. Ich wusste, ich war Clio. Ich hatte eine Schwester. Wir lebten bei unserer Zwölf-mal-hintereinander-›Ur‹-Großmutter.
    » Du willst wirklich etwas lernen«, sagte er.
    » Ja.« Mein Gehirn konnte seine Worte entschlüsseln. Na, Gott sei Dank.
    » Du bist alleine hergekommen.«
    » Ja.«
    » Thais weiß nichts davon.«
    Scheiße.
    Würde ich es überleben, wenn ich mich aus dem Fenster, über den Balkon und auf die darunterliegende Straße warf? Wie hoch das wohl war? Fünf Meter?
    Mit einem Mal wandte sich Daedalus ab, ganz businesslike. Er stellte sein Glas ab, schaute in den Empire-Spiegel über dem kleinen Tisch und strich sich seinen Ziegenbart glatt. » Na dann komm her. Mal sehen, wie du hiermit zurechtkommst.«
    Ich folgte ihm in sein repräsentatives Speisezimmer, das brusthoch mit Holz vertäfelt und darüber mit einer gemusterten Tapete geschmückt war. Wie in Axelles Wohnung befand sich an der Decke rundum eine Zierleiste. Daedalus blieb vor einem bestimmten Wandabschnitt stehen, fuhr sanft mit den Fingern über die Tapete und flüsterte Dinge, die ich nicht verstand.
    Ich hörte ein schwaches Klicken, und plötzlich öffnete sich eine Tür nach innen, die zuvor nicht sichtbar gewesen war. Thais hatte mir von genau so einer Tür in Axelles Wohnung erzählt. Besaß jeder Hexer und jede Hexe so etwas? Oder nur die Treize? Und hatte Nan irgendwo auch so eine Tür, die ich nur nie entdeckt hatte?
    Der Raum im Inneren war in vollständige Dunkelheit getaucht. Daedalus griff sich einen vierarmigen silbernen Kandelaber und fuhr flüchtig mit den Fingern über die Kerzendochte, die sich augenblicklich entzündeten. Wie verdammt cool, dachte ich. Er ging hinein und bedeutete mir, ihm zu folgen.
    Im Film wäre das jetzt der Moment gewesen, in dem die Zuschauer schreien würden: » Nein, geh da nicht rein!«. Und natürlich würde die dumpfbackige Heldin es doch tun und der Axtmörder sie kriegen. Auch ich trat jetzt ein, in der Hoffnung, dass noch genug von mir übrig blieb, um meinen Körper zu identifizieren. Das Herz klopfte mir bis zum Hals.
    Wir standen in einem winzigen, ungefähr eineinhalb Meter breiten und zwei Meter langen Raum, der komplett schwarz gestrichen war und dadurch noch kleiner wirkte. Überall waren silberne Symbole aufgemalt, deren Ecken und Rundungen aneinanderstießen und die gesamten Wände bedeckten. Ich sah ein Füllhorn, aus dem Tränen oder Blut oder was auch immer strömte und mich erschaudern ließ, auch wenn ich versuchte, es nicht zu zeigen. Dann standen da noch ein paar Worte auf Altfranzösisch, von denen ich die meisten kannte. Und natürlich Runen – die geläufigen konnte ich identifizieren, einige aber auch nicht. Ich versuchte, keine Regung zu zeigen, als ich unter all den Zeichen dieselben Symbole erkannte wie auf Richards Wänden in Lucs Apartment.
    Überhaupt gab es, bei genauerer Überlegung, so einige Parallelen. Beide hatten silberne Farbe auf dunklem Untergrund benutzt und beide wie gesagt dieselben unbekannten Symbole. Was hatte das zu bedeuten?
    Überall standen schwarze Kerzen, einige frisch, andere schon ziemlich heruntergebrannt, in kleinen silbernen Haltern. Ich blickte nach unten, um zu sehen, ob sie auf den Boden getropft hatten, und sah, dass er ebenfalls schwarz gestrichen war. Ein riesiger silberner Drudenfuß dehnte sich so weit aus, dass er fast alle vier Wände berührte. Das Pentagramm. Für einen Moment sah ich mich einfach nur um und hoffte, keinen Schrumpfkopf oder irgendwelche Molchsaugen in Gläsern zu entdecken. Und ich war immerhin eine Hexe.
    » Wie, glaubst du, funktioniert Unsterblichkeit, Clio?«, fragte Daedalus. Ein in Leder gebundenes Buch lag aufgeschlagen auf einem schmalen Fenstersims.
    Ich sah ihn an. » Über die Quelle«, entgegnete ich. » Die war wohl so was wie ein Jungbrunnen.«
    » Ich bin mir nicht sicher, was die Quelle wirklich ist«, antwortete Daedalus und stellte den Kandelaber auf einen
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