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Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser
Autoren: Cate Tiernan
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nicht mehr Macht über mich geben als nötig.
    Endlich setzte er zum Sprechen an: » Dann willst du also nicht einfach nur zusehen, sondern mitmachen? Du willst dabei helfen, die Kraft anwachsen zu lassen und sie in die richtige Bahn zu leiten?«
    » Ja.«
    Seine Augen wurden schmal und sein Blick glitt hinunter zu dem Glas Portwein, das ich immer noch nicht angerührt hatte.
    » Wer hat dich geschickt?«
    » Niemand. Ich will von dir unterrichtet werden. Bist du dabei oder nicht? Und gibt es überhaupt etwas, das du mir beibringen könntest?« Ich legte einen Hauch Skepsis in meine Stimme, weil ich davon ausging, dass seine y-chromosom-gesteuerte Starrköpfigkeit darauf anspringen würde.
    Und so war es.
    » Ich habe schon mehr über Magie vergessen, als du je lernen wirst«, sagte er. Eine ärgerliche Röte überzog seine hohlen Wangen.
    Ich hielt inne und nahm einen Schluck Wein. Ein warmes Rinnsal lief mir die Kehle hinunter in den Magen. Ich hoffte sehr, keine große Dummheit zu begehen. » Welch treffender Spruch«, sagte ich und betrachtete ihn milde interessiert, als wäre er ein wissenschaftliches Experiment. » Hast du dir das ausgedacht?«
    Er biss die Zähne zusammen, und durch die Art, wie das Licht in diesem Moment auf ihn fiel, merkte ich plötzlich, dass er heute älter aussah als vor dem Ritus. Wie Nan. Ach du Scheiße. Alterten sie etwa? Waren sie nicht länger unsterblich? Schließlich schien Daedalus seinen Ärger in den Griff zu bekommen und sich zu entspannen.
    Er lächelte. » Du bist ganz schön tough, nicht wahr, Clio?«
    Statt einer Antwort stand ich einfach nur da und versuchte, » toughe Vibes« auszusenden.
    » Aber wie tough, frage ich mich?«, sagte Daedalus wie zu sich selbst und kam auf mich zu.
    Ich bin unerschütterlich, dachte ich. Ein Fels.
    Als er nah genug war, streckte er die Hand aus und legte drei Finger auf meine Schläfe. Zu spät begriff ich, was er vorhatte, und zuckte zurück, doch er griff mit der anderen Hand nach meinem Arm und hielt mich fest.
    Panisch schloss ich die Augen, versuchte, meinen Verstand zu verschließen, alles zu verschließen …
    Doch es war zu spät und er zu stark. In wenigen Augenblicken hatte er sich Zugang zu meinem Bewusstsein verschafft. Alles verschwamm. Sekunde um Sekunde schossen mir Tausende blitzschnelle, beliebig zusammengesetzte Erinnerungsfetzen durch den Kopf, immer und immer wieder – wie lange, weiß ich nicht. Erinnerungen an meine Kindheit, meinen ersten Kuss, meinen ersten Zauber, an Angst, Alpträume, Krankheiten, Triumphe – unzählige Bilder und Gefühle rasten durch meine Gedanken wie ein Film, den man so schnell abspult, dass er unverständlich wird. Ich war in Panik, auf einer Achterbahnfahrt der Gefühle direkt aus der Hölle. Verzweifelt wünschte ich, ich wäre nie gekommen. Ich musste hier weg, musste fliehen, musste … Dann ließ Daedalus mich los. Ich taumelte, wäre beinahe hingefallen.
    Ich konnte mich gerade noch an der Lehne eines Ohrensessels auffangen, indem ich nach dessen Bezug griff, der sich rau unter meinen Fingern anfühlte, und mich daran festkrallte. Ich atmete schwer. Ich fühlte mich, als hätte Daedalus Abflussreiniger in meinen Kopf gegossen und die herausströmenden Erinnerungen in einem Stahlbecken aufgefangen. Meine andere Hand hatte sich zu einer Klaue verkrümmt. Überrascht bemerkte ich, dass ich das Glas mit dem Portwein nicht hatte fallen lassen. Langsam, ganz langsam kam ich zu mir und versuchte, wieder Besitz von meinem Bewusstsein zu erlangen, meine Angst zu unterdrücken. Als ich endlich so weit war, hob ich den Blick. Ich war mir nicht im Klaren darüber, wie viel Zeit vergangen war, was Daedalus gesehen oder wie er das gemacht hatte. Ich hatte von Leuten, von Hexen, gehört, die etwas in dieser Art praktiziert hatten. Thais und ich hatten es in einer beidseitigen Version angewandt, um uns näherzukommen. Aber ich hatte nicht gewusst, dass man es so leicht tun konnte, so leicht und in jedem Moment. Er war wirklich sehr viel stärker, als ich gedacht hatte. Ich war der Situation nicht gewachsen.
    Doch, das war ich wohl. Ich konnte das. Ich war stärker, als ich dachte.
    Ich stellte mich aufrecht hin. Etwas zu spät versuchte ich, unbeeindruckt dreinzublicken und meinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ich nahm noch einen Schluck von dem Portwein und hatte das Gefühl, Blut zu trinken, warm und reichhaltig, das meine Adern erwärmte und mich mit Leben füllte.
    Plötzlich fragte ich
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