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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort
Autoren: Ingrid Noll
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Seine Mutter hatte ihren Mann noch nicht erreichen können.
    Schließlich wurden sie hereingerufen und erfuhren, dass sich der Alte den Oberschenkel gebrochen hatte. Eine Operation sei unumgänglich. Dann wurde der Großvater, der inzwischen eine schmerzstillende Injektion erhalten hatte, hereingerollt. Gemeinsam besprach man das Vorgehen. Es bestand eine gewisse Unklarheit, welche Medikamente der Patient regelmäßig einnehmen musste, Max wusste es nicht, und dem Alten fielen die Namen nicht ein.
    Da Max sowieso noch ein Köfferchen für seinen Opa packen musste, sollte er auch gleich die Pillen nebst Originalverpackung ins Krankenhaus bringen. Seine Mutter wollte zu ihrem Bügeleisen und setzte ihren Sohn nur schnell vor dem großväterlichen Haus ab.
    »Stell die Heizung auf Sparflamme, Ende Februar friert es nicht mehr über Nacht!«, befahl sie. »Er braucht mindestens drei Schlafanzüge, Bademantel, Taschentücher, Pantoffeln und Waschzeug. Bücher oder Zeitschriften noch nicht, die kann man ihm in den nächsten Tagen mitbringen. Und seine Brieftasche mit Ausweis und Versicherungskarte!«
    »Und die Zigarren?«, fragte Max.
    »Bist du wahnsinnig? Am besten gleich noch drei Flaschen Schnaps - mein Gott, mir ist im Moment nicht nach Scherzen zumute.«
    »Alles klar«, brummte Max. Als Erstes hatte er vor, den Küchenboden gründlich zu reinigen. Seine Eltern sollten auf keinen Fall erfahren, dass ihr Sohn schuld an der Katastrophe war.
    Als Max an Ort und Stelle war, fiel ihm auf, dass der Schlüssel für den kleinen Tresor nicht hinter der Puddingform hing. Hatte ihn der Alte etwa noch in der Hosentasche?
    Die Zahnbürste seines Großvaters sah ziemlich heruntergekommen aus. Wofür brauchte man sie überhaupt, wenn man Ober- und Unterkieferprothesen trug? Max stopfte alles, was er an Rasierzeug und Hygieneartikeln im Badezimmer fand, in eine Plastiktüte. Der graue Canvas-Koffer im Gästezimmer war viel zu groß. Im Schlafzimmer unterm Bett fand er einen kleineren, der ihm sehr schwer vorkam. Als Max ihn öffnete, war er gefüllt mit Pornoheften aus den siebziger Jahren. Max stieß einen Pfiff aus und musste laut lachen.
    »Alter Schwede«, sagte er anerkennend. »Wer hätte das gedacht!«
    Dann schüttete er die Hefte in den Kleiderschrank, wobei ein schweres Kästchen herauspolterte. Max steckte es zurück in den Schrank, verschloss die Tür und zog den Schlüssel ab, seine Eltern brauchten von dem Fund nicht unbedingt zu wissen. Eilig packte er alles Nötige ein, drehte die Heizkörper herunter und fuhr zum zweiten Mal ins Krankenhaus.
    Dort wurde er auf eine der chirurgischen Stationen geschickt, wo ihn eine Krankenschwester abfing.
    »Wurde mein Großvater schon operiert?«, fragte Max.
    »Meinen Sie Herrn Knobel? So schnell schießen die Preußen nicht, aber morgen ist er als Erster dran, der Anästhesist kommt gleich zu ihm. Sie können ihm ruhig seine Sachen bringen.«
    An der Zimmertür mit der Nr. 207 steckten zwei Namenskärtchen in einer Halterung: Hermann Schäfer und Willy Knobel.
    Der Alte trug ein fade gemustertes, verwaschenes Nachthemd, wie Max es nur aus Fernsehserien kannte. Er teilte sich den kleinen Raum mit einem kaum jüngeren Patienten, der jedoch schlief. Als sich sein Enkel dem Bett näherte, hob der Kranke wortlos die Decke und zeigte ihm das gebrochene Bein, das fest in eine Schaumstoffschiene eingeklemmt war. Max packte den Koffer aus, brachte die Waschsachen ins Bad und räumte die Schlafanzüge in den Wandschrank. Neben der Tür hing der schwarze Persianer. Max winkte kurz zum Abschied und fuhr nachdenklich nach Hause.
    Inzwischen war auch sein Vater da. Wie zu erwarten, regte er sich furchtbar auf.
    »Ob er in diesem Alter noch eine Narkose und Operation übersteht, mangelhaft ernährt, wie er ist?«
    »Was spricht dagegen?«, sagte Petra. »Herz und Kreislauf sind stabil. Die Operation ist mittlerweile Routine. Meine beiden Großmütter hatten sich den Oberschenkelhals gebrochen, lagen monatelang flach, ohne dass es heilte, und starben schließlich an einer Lungenentzündung. Heute haben auch Hochbetagte eine gute Chance, wieder gesund zu werden.«
    »Na schön«, sagte Harald. »Mit Nägeln, Platten und Schrauben kann man die Knochen zwar zusammenflicken, aber wird der Tattergreis auch wieder gehfähig? Das alles bedeutet doch, dass ich mich eher heute als morgen um einen Platz in einem Pflegeheim bemühen muss. Gleich morgen frage ich den Kollegen vom Gesundheitsamt um
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