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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition)
Autoren: Katrin Seddig
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gewesen. Der Vater kennt alle Filme, er hat sie fast alle auf Video. Ava kennt die Filme auch, sie hat Ava mit neun in «The Killers» gesehen. Sie hat immer wieder versucht, so zu gucken, wie Ava guckt, als Burt Lancaster sie das erste Mal auf einer Party erblickt, er ist mit einer anderen Frau da, aber als sich Ava umdreht und so unglaublich toll aussieht, kriegt er sie nicht mehr aus dem Kopf und hat die andere Frau sofort vergessen. Das hätte er besser nicht tun sollen, denn Ava wird sein Verderben sein, das war es, was Ava am meisten Vergnügen machte, dass Ava sein Verderben sein würde. Sie sah den Vater an und sagte: «Diese Frau wird sein Verderben sein», und der Vater nickte stumm, ohne den Blick abzuwenden.
    Der Vater hat sein eigenes Schlafzimmer mit blauem Teppich und zwei Bücherregalen. Er schläft nicht mehr mit der Mutter in einem Zimmer. Das hat im Dorf zu Gerede geführt, aber die Mutter sagt: «Die soll’n die Fresse halten!» Die Mutter ist rhetorisch etwas anders drauf als der Vater. Ihre Eltern waren Schafbauern. Die Mutter hat selber lange ein Schaf gehalten, sie war so dran gewöhnt gewesen. Aber ein Schaf macht nicht viel Sinn. Es rennt immer am Pflock im Kreis, bis es sich eingedrieselt hat, und dann würgt es, bis jemand es ausdreht. Die Großeltern haben immer noch jede Menge Schafe und neuerdings auch Ziegen. Avas Vater wird von ihnen nicht besonders gemocht. «Der hat nichts im Kopf als Spinnereien.» Als die Mutter den Vater damals angeschleppt hat, da hat der Opa ihn sofort aus dem Haus geworfen. Er hat ihn an den Schultern gefasst und umgedreht und gesagt: «Geh mal schön wieder nach Hause, Herr Professor, meine Tochter kriegst du nicht.»
    Aber die Mutter hat ihn trotzdem genommen. Sie wollte weg von den Grobheiten auf dem Bauernhof, von dem Schafdreck und dem Rübeneintopf. Sie wollte keinen Mann wie ihren Vater, der tagein, tagaus in schwarzen Gummistiefeln und mit Hosenträgern über dem Flanellhemd rumlief und sich beschwerte, wenn es zu wenig Kartoffeln bei Tisch gab. Das hat sie Ava irgendwann erzählt, und Ava konnte es verstehen, obwohl Ava den Opa auch ziemlich mag. Aber sie kriegt ihn auch nicht als Mann. Das ist was anderes. Da hat man mehr Hoffnungen und Romantik.
    Der Vater hatte die Mutter mit den dicken Locken und Titten zum Essen im Weinkeller in Lüneburg, wo er wohnte, eingeladen, und ihr nach dem Essen ein Gedicht vorgelesen. Das Gedicht muss was Besonderes gewesen sein, die Mutter soll Tränen in den Augen gehabt haben. Ava hätte gerne gewusst, um welches Gedicht es sich handelt, aber weder der Vater noch die Mutter geben ihr da Bescheid. «Das gehört deiner Mutter und nicht anders», hat er gesagt.
    «Das haben tausend Leute schon gelesen. Dann kann ich es doch auch lesen.»
    «Lies doch, was du willst.»
    Sie will gar keine Gedichte lesen, nur dieses eine, aber das darf sie nicht.
    Anschließend hat der Vater die Mutter wahrscheinlich rumbekommen. Das hatte sie nicht direkt erzählt, aber so wird es wohl gewesen sein. Die Mutter hatte eigentlich keine Ahnung von Gedichten, trotzdem hatte sie eine Sehnsucht in sich, nach einem Mann, der so etwas mit Gedichten in sich hatte und an sie weitergab.
    «Heutzutage kannst du mit Gedichten keine mehr rumkriegen», hat Petra gesagt. «Wenn mir einer mit nem Gedicht kommt, dann lache ich mich tot.»
    Petra hat einen Mann, der im Leben keine Gedichte vorlesen würde, Markus Mertens, der Dachdecker ist, sein dunkles Haar oben recht kurz und hinten etwas länger trägt und samstags DJ macht. Er spielt Oldies auf Ü-30-Partys. Petra sagt, sie mag das auch viel lieber als zum Beispiel moderne Popmusik. Ava mag überhaupt keine Ü-30-Partys, wo alle Ü-40 sind und immer, immer die gleiche Musik gespielt wird. «Jetzt flippen sie gleich richtig aus, warte, Ava», sagt Markus dann und dreht die CD in seiner Hand und zieht an seiner Fluppe und legt «Heart of Glass» von Blondie auf und brüllt: «Damenwahl!» Zu Hause hört er genau das Gleiche. Zu Hause bastelt er an seinem Volkswagen rum, der in der Garagenauffahrt von Petras und seinem kleinen gemieteten Reihenhaus steht, und aus dem CD-Player im Auto schreien Blondie und Rolling Stones, und er fummelt unter dem Auto und singt: «I can’t get no, Satisfaction. Geiler Song, geiler Song. Jagger. I can’t get no.» Das sind Markus’ Gedichte, sozusagen.
    Wenn Ava einer mal ein Gedicht aufsagen würde, dann würde sie sich das gar nicht erst zu Ende anhören, aber es
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