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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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dieser Wohnung waren jenen seines Apartments in London so ähnlich, dass er sofort wusste, dass hier keine Frau lebte. Sie war nicht unaufgeräumt, eher präzise und gnadenlos rational an die Gewohnheiten des Bewohners angepasst: Ein Flasche Wodka auf dem Fußboden neben dem Sessel, ein Elektrorasierer, der ein Herkunftswörterbuch beschwerte, eine Cordjacke auf einem Bügel an der Tür des Sicherungskastens und am Fenster dann ein paar Chrysanthemen in einer Vase, noch nicht ganz verwelkt, wie eine kleine Abordnung aus feminineren Gefilden, die wusste, dass ihre Anwesenheit bei diesen Verhandlungen eine rein diplomatische Formalität war.
    »Mildred und ich haben uns ’54 scheiden lassen«, sagte Loeser. »Deshalb bin ich nach Berlin zurückgekommen. Aber ich habe eine ›Freundin‹«, fügte er mit einem Nicken in Richtung Vase hinzu. »Das Wort klingt natürlich lächerlich.«
    Im Jahr zuvor hatte Rackenhams Cousine Etty ihn in seiner Wohnung in Paddington besucht und, als sie sich umsah, ihrer Stimme einen solchen Trauerton verliehen, dass er sich genötigt gefühlt hatte, um eine Erklärung zu bitten. »Dass du hier nicht glücklich sein kannst, sieht man doch gleich, Rupert«, hatte sie gesagt. »So wie du lebst. Ganz allein.« Er hatte ihr versichert, dass er sehr glücklich sei, auch wenn sie das nicht glauben wolle – bestimmt glücklicher als sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern, die ihre Stimme alle sichtlich nicht mehr hören konnten. Aber ob Loeser hier glücklich war, wusste er nicht zu sagen. Wie kurios, dachte er, dass Loeser tatsächlich die kleine Gorge geheiratet hatte, sodass Rackenham dem Deutschen von der erotischen Ahnenreihe her eine Art Schwiegervater war. Ob Mutter und Tochter sich im Bett ähnlich waren? Er konnte sich noch immer an die Nachmittage mit Amelia Gorge auf Loesers Sofa in Pasadena erinnern – kalte Zehn-Cent-Stücke hatten ihm die Fingerknöchel geküsst, während er zwischen den Lederpolstern Halt gesucht hatte –, als er hatte akzeptieren müssen, dass nichts, was er mit ihrem Körper anstellte, sie je so in Ekstase versetzen würde wie das böse Gerücht, das er für sie darüber verbreitete, was ihr Gatte angeblich im Weinkeller aufbewahrte. »Bist du gern wieder hier?«, sagte er.
    »Ich kann die alten Viertel nicht mehr finden. Ich habe versucht, Ry ū jins Tochter aus dem Palast zu entführen, und als ich ohne sie heimgekehrt bin, lag alles in Trümmern, als wären dreihundert Jahre vergangen. Puppenberg, Schlingendorf, Strandow, Hochbegraben. Was ist daraus geworden?«
    »Zerbombt. Abgerissen. Hinter der Mauer.«
    »Sie können nicht alle weg sein. Nicht Straße für Straße. Das ergibt keinen Sinn. Aber gestern war ich in Kreuzberg, und der Sturm hat die Blüten aufgewirbelt, da war ich sehr froh, dass ich hier bin, das muss ich schon sagen. Ich hatte vergessen, wie fruchtbar die Stadt ist.« Er setzte sich und winkte Rackenham, es ihm nachzutun. »Ich habe lange überlegt, was du wohl von mir willst. Aber ich bin nicht darauf gekommen.«
    »Ich drehe einen Dokumentarfilm für das amerikanische Fernsehen«, sagte Rackenham. »Über Berlin in den letzten Jahren vor dem Krieg. Die Kristallnacht und die Aufmärsche und die Gestapo und so weiter. Ich wollte dich fragen, ob ich dich interviewen darf. Ich will meine eigenen Erinnerungen mit denen von ein paar anderen prominenten Bekannten verschneiden.«
    »Aber wir sind beide 1934 weg. Das Schlimmste haben wir verpasst.«
    »Das wissen sie beim Sender nicht, und da kommen sie auch nie drauf.«
    Loeser stieß einen skeptischen Verschlusslaut aus. »Ich wüsste nicht mal, was ich sagen soll.«
    »Ach, ganz einfach. ›Ich saß im Cabaret und sah, wie ein SS -Mann mit bösem Gesicht seine Mieze schlug, weil sie ihren Champagner verschüttet hatte, und da wusste ich, die schönen Zeiten sind für immer vorbei.‹ Du kennst das doch.«
    »Nein, Rackenham. Auf keinen Fall.«
    »Für das Interview gibt es kein offizielles Honorar, aber mein Spesenkonto ist fast unbegrenzt. Wir können etwas erfinden. Ihnen eine Rechnung für ein Einhorn schreiben, auf das wir nicht verzichten konnten.« Rackenham merkte, dass Loeser kein Interesse hatte, also sagte er: »Womit verdienst du heute dein Geld?«
    »Ich schreibe ein Buch.«
    »Mit Vorschuss?«
    »Nein. Ich habe noch keinen Verlag. Aber ein Arbeitsstipendium von der Norb-Stiftung.«
    »Wovon handelt es?«
    »Von der Rolle der Massenverkehrsmittel bei der Endlösung der
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