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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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die Krawatte weg. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie vor einem gesetzlich eingesetzten Kongressausschuss stehen?
    MR LOESER : Ich glaube aber nicht, dass ich vor so einem Ding stehe. Ich glaube nicht einmal, dass ich stehe. Ich glaube, ich liege in meinem Bett im Shoreham Hotel ungefähr drei Meilen vom Capitol entfernt und schlafe.
    DER VORSITZENDE : Womit ließe sich so eine Behauptung denn belegen, Mr Loeser?
    MR LOESER : Ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, wie ich hierhergekommen bin. Ich weiß nur noch, dass ich mit meiner Frau geschlafen habe, gleich nachdem der Wecker geklingelt hatte.
    DER CHEFERMITTLER : In welcher Stellung?
    MR LOESER : Ich lag auf ihr und hatte den rechten Arm unter ihr linkes Knie gehakt, um ihr den Oberschenkel an den Bauch zu drücken.
    DER CHEFERMITTLER : Warum nicht beide Arme unter beide Knie?
    MR LOESER : Das ist viel Arbeit. Ich bin vierzig Jahre alt. Darf ich fortfahren?
    DER CHEFERMITTLER : Bitte.
    MR LOESER : Ich habe ejakuliert, mich zurückgezogen, mich auf die Seite gerollt, sie in den Nacken geküsst und die Augen geschlossen. Dann hat sie mich an der Schulter angestoßen, bevor sie ins Bad ging, um sich den Mutterleibschleier aus Gummi herauszunehmen, und gesagt: »Du darfst jetzt nicht wieder eindösen, Egon, es ist schon neun Uhr, und in einer Stunde musst du am anderen Ende der Stadt sein.« Ich habe aus tiefem Herzen zustimmend gegrunzt. Dann bin ich wieder eingedöst. Ich glaube, ich träume immer noch.
    DER VORSITZENDE : Kommt Ihnen das hier wie ein Traum vor?
    MR LOESER : Eigentlich nicht. Aber das beweist nichts. Schopenhauer würde sagen, dass wir alle an chronischer ontologischer Agnosie leiden. »Ist nicht etwan das ganze Leben ein Traum?« Unsere Sinne geben uns ein leises Flackern und Brummen und Kitzeln ein, und wir verwechseln diesen Abglanz mit wirklichen Dingen und wirklichen Erfahrungen, obwohl uns jeder trübe neue Morgen wieder zeigt, dass wir Traum und Leben erst unterscheiden können, wenn wir wach sind. Wir sind alle nicht normaler als Colonel Gorge. Ich kann Brecht nicht ausstehen –
    DER VORSITZENDE : Mr Brecht wird in einigen Wochen vor dem Ausschuss erscheinen, also keine Respektlosigkeiten, bitte.
    MR LOESER : … aber ich kann nicht anders, ich bewundere ihn dafür, wie er das Publikum nie vergessen lässt, dass es nur Schauspieler auf einer Bühne sieht. Im Theater arbeiten wir an unserer eigenen Art von temporärer ontologischer Agnosie, und Brecht impft uns gegen unseren Willen das Heilmittel ein. Aber wer verabreicht uns eine doppelte Dosis des Impfstoffes, wenn wir aus dem Theater treten und den Broadway hinunterspazieren? Die Philosophen liest ja niemand mehr.
    DER CHEFERMITTLER : Sie wollen also behaupten, Mr Loeser, die Geschichte sei ein Albtraum, aus dem Sie zu erwachen versuchen?
    MR LOESER : Nein. Die Geschichte ist ein Wecker, den ich aus dem Fenster werfen möchte. Darf ich jetzt meine Erklärung abgeben?
    DER CHEFERMITTLER : Noch nicht. Warum sind Sie in die Vereinigten Staaten gekommen?
    MR LOESER : Aus gesundheitlichen Gründen. Wenn ich noch in Berlin tot umgefallen wäre, hätten die Ärzte mir die Milz aufgeschnitten, sie hätten sie zum Fotografieren in die Luft gehalten und gesagt: »Sehen Sie diese Flecken, hier und hier, die an verdorbenes Hundefutter erinnern? Der Patient war erst sechsundzwanzig Jahre alt, und solche Ablagerungen von Bitterkeit und Eifersucht findet man normalerweise erst bei Sechzigjährigen.« Deshalb, und wegen der Augen von Adele.
    DER CHEFERMITTLER : Was werden Sie sagen, wenn man Ihnen später am Vormittag dieselben Fragen noch einmal stellt?
    MR LOESER : Keine Ahnung. Sprechen wir übrigens gerade Deutsch oder Englisch? Ich weiß es nicht zu sagen, und das deutet wirklich auf einen Traum hin.
    DER VORSITZENDE : Schluss mit diesem Gerede, bitte.
    DER CHEFERMITTLER : Welchen Beruf üben Sie aus?
    MR LOESER : Keinen. Früher war ich Bühnenbildner.
    DER CHEFERMITTLER : Warum haben Sie damit aufgehört?
    MR LOESER : Nachdem ich Lavicinis Buch gelesen hatte, sah ich keinen Sinn mehr darin. Er hat schon alles abgedeckt. Der Mann war vielleicht erst der zweite professionelle Bühnenbildner der Welt, nach Torelli, und trotzdem hat er fast jede Neuerung in der Geschichte des Bühnenbildes vorhergesehen. Heute erinnern wir uns nur an seine Zaubermaschinen, aber er war nicht einfach nur ein Techniker. Er war Avantgardist.
    DER CHEFERMITTLER : Haben Sie sich wirklich einen Mann zum Vorbild
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