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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
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wusste gar nicht mehr, wer ich war.
    Dann klopfte ich doch. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich etwas regte. Zuerst ging die Tür nur einen Spalt weit auf, aber im nächsten Moment wurde sie ganz geöffnet. Der alte Mann stand vor mir. Erstaunt sah er mich an, dann lächelte er.
    »Komm herein«, sagte er. Ich glaube, er freute sich über meinen Besuch.

22. Juni 1941
    Als wir heute von unserer Wochenendfahrt zurückgekommen sind, haben wir gleich gehört, was passiert ist: Der Krieg gegen Russland hat angefangen. Vermutet haben’s einige schon länger, aber wir haben nie glauben wollen, dass es so weit kommt. Deshalb hat uns die Nachricht ganz schön getroffen.
    Bisher haben wir nicht viel gespürt vom Krieg. Als es losgegangen ist vor zwei Jahren, hatten alle Angst und wussten nicht, was kommt. Aber dann hat sich kaum was geändert gegenüber früher. Klar, Lebensmittel gibt’s nur noch auf Karte. Aber wer sich nicht allzu blöd anstellt, kommt schon hin mit seinen Rationen. Ausländische Sender darf man auch keine mehr hören, sonst ist man ein »Rundfunkverbrecher«. Machen viele natürlich trotzdem. Heimlich, wenn der Blockwart nicht zu sehen ist. »Radio Nippes« heißt der Engländer bei uns.
    Und es gibt die Verdunkelung. Jeder hat diese schwarzen Rollos am Fenster und muss sie runterziehen, wenn’s düster wird. Wer’s vergisst, kriegt Ärger. Wer’s noch mal vergisst, kriegt tierischen Ärger. Könnte ja ’n Saboteur sein, der feindliche Flieger anlocken will. Draußen gibt’s deswegen abends kein Licht. Die Straßenlampen und Schaufenster sind dunkel, sogar die Autos müssen Kappen über den Scheinwerfern haben.
    Aber richtig schlimm ist das alles nicht. Tote und Verletzte haben wir noch keine gesehen. Die gibt’s nur an der Front. Und die ist weit weg, irgendwo da draußen, hinter den sieben Bergen.
Keiner spricht groß drüber. Alles, was man hört, sind die Siegesmeldungen im Radio. Und es gibt die kleinen Heftchen am Kiosk, über die Heldentaten der deutschen Soldaten. So wie’s früher die Indianerhefte gab.
    Nur wär’s mit der Ruhe jetzt bald vorbei, sagen manche von den Älteren. Russland wär nicht Polen. Und auch nicht Frankreich. Das Land wär viel zu groß, damit könnte man nicht fertig werden. Und wir sollten bloß aufpassen, dass die Sache nicht auf uns zurückfällt. Wär eben falsch, sich mit allen auf einmal anzulegen. Natürlich wird so was nur geflüstert. Und nur, wenn keine Fremden in der Nähe sind.
    Wir haben noch ein bisschen zusammengesessen heute Abend. Flint und Kralle waren dabei, Goethe und der Lange, Tilly und Flocke, ihre Freundin. Und Tom und ich natürlich. Der Spaß, den wir auf unserer Fahrt hatten, war vorbei. Denn eins steht ja wohl fest: Jetzt wird der Krieg noch lange dauern. Und wer weiß, was denen da oben noch so einfällt. Was sie mit Leuten wie uns alles anstellen können!

9. Juli 1941
    Eigentlich ist es am besten, sich nicht zu viele Sorgen zu machen. Es ist Sommer, und wer weiß, wie viele Sommer uns noch bleiben. Tom und ich sind einfach nur glücklich, dass wir die anderen gefunden haben und bei ihnen mitmachen dürfen. Fast jeden Abend treffen wir uns mit ihnen. Natürlich immer draußen. Staubige Luft haben wir in den Betrieben genug, und bei uns zu Hause ist es zu eng. Wir müssen raus, auch wenn’s verboten ist. Oder gerade deswegen!
    Lange Zeit haben wir uns am Neptunbad getroffen und uns da benommen, als wären wir allein auf der Welt. Über die Streifendienstler
haben wir uns keine Gedanken gemacht. Wir haben gedacht, die sind wir los, nachdem Flint und die anderen sie damals aus Ehrenfeld rausgeworfen haben.
    »Waren die übrigens selbst schuld«, hat Flint Tom und mir mal erzählt. »Haben uns nicht in Ruhe gelassen. Wollten immer unsere Papiere sehen. Haben angefangen rumzuschubsen und so ’n Zeug. An dem Abend haben sie’s übertrieben. Mussten unbedingt zeigen, was sie draufhaben. Da ist es ja wohl nur recht und billig, wenn man sich verteidigt, oder?«
    Na ja, haben wir gedacht: Was Flint eben unter verteidigen versteht! Jedenfalls haben wir uns lange Zeit sicher gefühlt und nichts Böses vermutet. Deswegen waren wir total überrascht, als die Streifendienstler vor zwei Wochen wieder aufgetaucht sind. Hatte wohl mit der Sache am Felsensee zu tun.
    Es war schon spät, längst dunkel, wir wollten eigentlich gerade gehen. Da waren sie plötzlich da. Alle viel älter als wir, und bestimmt doppelt so viele. Unser Glück war, dass sie
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