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Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Titel: Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
Autoren: Daniel Morawek , Christian Döring
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in eine Badewanne, dann siehst du schnell, wie wenig das ist.
     
    Daniel: Kann ich mir vorstellen. Du warst auch in der Krippe, sagst du. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es so was bei uns überhaupt gab. Normalstandard war, dass Kinder mit drei Jahren in den Kindergarten gingen und davor zu Hause betreut wurden. Meine Eltern hatten eine kleine Druckerei, in der meine Mutter die Büroarbeit übernahm. Da sie nach meiner Geburt bald wieder zu arbeiten begann, wuchs ich eben unter ihrem Schreibtisch auf.
     
    Christian: Krippen waren bei uns wichtig, weil so gut wie alle Frauen berufstätig waren. Schon in den 60er Jahren herrschte permanent Arbeitermangel in der DDR. Viele waren nach „Drüben“ verschwunden und erhofften sich, im Westen eine goldene Nase zu verdienen. Sie ersehnten sich ein eigenes Auto und eine vernünftige Wohnung.
    Bevor meine Mutter als Köchin arbeitete, war sie Krankenschwester im Dreischichtsystem. Um arbeiten gehen zu können, musste sie mich in die Wochenkrippe geben. Montags um Punkt sechs Uhr wurde ich abgegeben und freitags ab 17 Uhr konnte sie mich abholen.
    In meinen Kindergarten ging ich sehr gern. Er lag direkt am Lindenbruch, einem kleinen Laubwald, in dem wir oft spielen durften. Vormittags beschäftigten sich die Erzieherinnen nach einem vorgegebenen Plan mit uns. Wir bastelten, gingen mal ins Kino, malten oder bekamen ein Märchen vorgelesen. Eine dieser Vormittagsstunden sehe ich noch wie heute vor mir. Es muss die Adventszeit 1967 gewesen sein. Alle Kinder der Gruppe saßen im Stuhlkreis und meine geliebte Tante Vehlat erklärte, dass nun jedes Kind der Reihe nach aufstehen und sein Lieblingsweihnachtslied vorsingen dürfe. Ich sang gerne. Vielleicht nicht immer richtig, aber mit Begeisterung.
    Als ich endlich mit dem Singen an der Reihe war, begann ich: "Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein höchsten Bord, trägt Gottes So..."
    Plötzlich war mit einem Schlag alles vorbei.
    Mitten in der ersten Strophe beendete Tante Vehlat meinen Gesang mit den Worten: "Dieses Lied wollen wir hier nie wieder hören!"
    Ich saß im Stuhlkreis konnte mir überhaupt keinen Reim drauf machen. Was hatte ich nur verbrochen?
    Abends zu Hause nahm mich meine Mutter auf den Schoß und erzählte mir, dass die Leiterin des Kindergartens heute bei ihr in der Küche war. Sie hatte mit meiner Mutter geschimpft, weil ich ein Weihnachtslied gesungen hatte, in dem etwas von Gott vorkam. Meine Mutter und ich, wir glaubten an Gott, alle anderen nicht.
    "Versprich mir, dass du nie wieder so ein Lied im Kindergarten singst oder auch nur eine einzige Geschichte von Gott erzählst!", sagte sie zu mir.
    Ich musste kräftig schlucken, aber geweint habe ich nicht. Was genau alles in Sekundenschnelle in meinem Kopf für Gedanken umherschwirrten, weiß ich heute nicht mehr. Auf alle Fälle musste ich an meine Oma in Serrah am Krakower See denken und mich beschlich das Gefühl des Verrats an ihr. Wie heute weiß ich noch, dass ich meiner Mutter in die Arme gefallen bin und mir klar wurde, dass ich mich ab sofort in zwei Welten bewegen würde. Da hatte ich genau aufzupassen. Ich musste einteilen in die, die an Gott glaubten, und in die, die nichts von ihm wissen wollten.
     
    Daniel: Bei uns im Westen waren die wenigsten Kindergärten staatlich. Die Träger waren meist die Kirchen. Das heißt zwar nicht, dass es dort wie in einer christlichen Kinderstunde zuging. Aber an Feiertagen und zum Ferienbeginn und Ferienende ging es regelmäßig zum ökumenischen Gottesdienst. Soweit ich weiß, mussten die Kindergartenmitarbeiter auch alle Kirchenmitglieder sein – sie waren schließlich angestellt bei der Kirche. Und so eine Szene, wie du sie beschreibst, wäre dementsprechend bei uns unmöglich gewesen.
    Es klingt sehr traumatisch. Wie bist du später im Kindergarten damit umgegangen? Oder hast du es als Kind geschafft, das Gefühl von Unterdrückung zu verdrängen?
     
    Christian: Ich weiß überhaupt nicht, ob ich diese Situation mit dem Begriff Unterdrückung zusammengebracht hätte, wenn ich ihn damals gekannt hätte. Dies kam erst später während meiner Schulzeit. Für mich war es mehr das Gefühl des Andersseins. Bei der Auswahl von Freunden, von Themen, bei allen Situationen checkte ich vorher ab, ob der andere wohl ein hundertprozentiger Genosse oder ein gefährlicher dreihundertprozentiger war. Und erst danach wurden aus meinen Gedanken irgendwelche Aktivitäten. Aus Angst, irgendetwas falsch zu machen, sagte
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