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Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)

Titel: Echt? In der DDR gab's mehrere Parteien? - Ein Ossi und ein Wessi beginnen einen Dialog (German Edition)
Autoren: Daniel Morawek , Christian Döring
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ich oft nichts und entwickelte mich zum Schweiger.
     
    Daniel: Im Westen wurde ich im Kindergartenalter eher von der Politik abgeschirmt. Zum Beispiel wollte meine Familie Anfang 1986, da war ich knapp fünf Jahre alt, eine Mittelmeerkreuzfahrt unternehmen. Die wurde kurzfristig abgesagt. Als Begründung erklärten meine Eltern mir, dass Piraten das Schiff entführt hätten. Ich fand das natürlich sehr spannend – echte Piraten mit Säbeln und Augenklappen – und erzählte allen Kindern im Kindergarten davon. Alle lachten mich aus, weil jeder wusste, dass es keine Piraten mehr gab. Aber meine Eltern hatten es mir doch erzählt.
    Jahre später habe ich herausgefunden, dass das Kreuzfahrtschiff Achille Lauro im Oktober 1985 von palästinensischen Terroristen entführt wurde, die Israel zwingen wollten, Gefangene zu entlassen. Linksterrorismus, das war in den 80ern immer noch ein großes Thema, das glaube ich viele Leute im Westen verunsichert hat. Man versuchte wohl, die Kinder nicht auch noch zu beunruhigen.
    Wie ging es bei Dir im Kindergarten weiter?
     
    Christian: Aus Angst um meine Mutter und wohl auch um mich selbst, sagte ich irgendwann nichts mehr. Damals wusste ich noch nicht, dass der Staat das Recht hatte, in bestimmten Fällen Eltern ihre Kinder wegzunehmen. Konnten Eltern beispielsweise nicht gewährleisten, dass sie ihre Kinder zu sozialistischen Persönlichkeiten erziehen, konnte der Staat das Sorgerecht übernehmen und die Kinder in Kinderheime oder in den Jugendwerkhof stecken.
    Freitags nachmittags ließen wir mein Heimatstädtchen Schwaan hinter uns und fuhren zu meinen Großeltern in das kleine Dorf Serrahn direkt am Krakower See. Hier war ich der King. Ich, der fünfjährige Steppke, brauchte auf nichts aufzupassen. Fast alle Bewohner des Dorfes waren bessarabische Flüchtlinge und alle glaubten an Gott. Sonntags saßen alle in der Kirche, die mitten auf dem Friedhof steht. Da meine Großeltern im Pfarrhaus wohnten und ich mit dem Pastor sozusagen auf Du und Du war, erkämpfte ich mir einige Sonderrechte. Beispielsweise brauchte ich nicht in den mir verhassten Kindergottesdienst seiner Frau zu gehen. Die Pfarrfrau erzählte nämlich die Geschichten über Jesus nur sehr knapp und dazwischenfragen durfte man nicht. Das war mir zuwider und außerdem hatte ich meine Oma. Mit der konnte ich stundenlang am See sitzen. Sie erzählte mir all die Geschichten aus der Bibel und ich konnte fragen, so viel ich wollte, sie wusste auf alles eine Antwort.
     
    Daniel: Ah ja, das wundert mich immer schon. Die DDR war also ein sozialistischer Staat, in dem Eltern die Kinder abgenommen werden konnten, weil sie Kirchenlieder sangen. Aber andererseits konnten die Pfarrer auf dem Land ganz idyllisch ihren Glauben leben?
     
    Christian: Das klingt heute alles, als wäre es in einer anderen Welt passiert. Und es gab ganz sicher auch für all diese Fälle Gesetze, die mal mehr mal weniger dehnbar waren und es immer genau darauf ankam, mit welcher Art von Genosse man es zu tun hatte. Wäre meine Kindergartenleiterin eine dreihundertprozentige Genossin gewesen, hätte sie den Vorfall mit meinem Weihnachtslied der zuständigen Mitarbeiterin in der Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt melden müssen. Hätte ich weiter im Kindergarten meine Lieder vom lieben Gott gesungen, wäre es zur nächsthöheren Instanz, der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises, gemeldet worden. Von dort wäre es nur eine Kleinigkeit gewesen, mich in ein Heim zu stecken. Zum Glück war Frau Jasmund keine, die darauf wartete, jemanden anschwärzen zu dürfen.
    Und wenn du hier schon die Lage der Pfarrer in der DDR ansprichst. Es gab einige, die konnten sich mehr erlauben und andere wiederum haben wegen jeder Kleinigkeit Ärger mit den Genossen der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises bekommen. Dort gab es immer einen zuständigen Mitarbeiter für Kirchenfragen. Dieser war ein Parteigenosse und so ganz inoffiziell in den häufigsten Fällen gleichzeitig ein Mitarbeiter des MfS. So kann es sein, dass du heute einem Pastor vorwerfen kannst, er hätte mit der Staatssicherheit gesprochen, ihm dies aber damals überhaupt nicht bekannt war, weil die Mitarbeiter in den Abteilungen für Inneres oft zwei Herren dienten. Und auch da kam es immer darauf an, mit wem man es zu tun hatte. Da waren die Hundertprozentigen. Traf man auf sie, kam man oft mit einem blauen Auge davon. Geriet man allerdings an einen Dreihundertprozentigen, dann hatte man
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