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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut
Autoren: Katharina Burkhardt
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mal drei Tage, dann würden meine Kinder mich schon wieder in die Spur zwingen. Und jetzt wirf du mir noch mal vor, dass ich zu wenig auf mich selbst achte.«
    »Ach je, so hab ich das doch gar nicht gemeint.« Hilflos suchte Mia nach einer Entschuldigung. Gleichzeitig machten Annikas Worte sie auch wütend. Ihr vorzuwerfen, dass sie keine eigenen Kinder hatte, war das Letzte. Annika wusste genau, wie gern Mia eigene Kinder gehabt hätte.
    »Ich habe genau gehört, was du wie gemeint hast«, giftete Annika.
    »Verdammt, jetzt reicht es aber.« Nun wurde auch Mia wütend. »Hör endlich auf, dir was vorzumachen. Dein Mann betrügt dich, und du bist zu feige, ihn damit zu konfrontieren. Das ist die ganze, erbärmliche Wahrheit. Warum er dich betrügt, weiß ich auch nicht. Männer machen so was halt. Ob es an deinen schrecklichen Haaren liegt, oder bloß daran, dass Matthias nach siebzehn Jahren den Sex mit dir langweilig findet, oder …«
    »Raus!« Annika spie das Wort mit einem heiseren Flüstern vor Mias Füße.
    Erschrocken riss Mia die Augen auf. »Was?«, stammelte sie entsetzt.
    »Ich will, dass du verschwindest«, sagte Annika mit so eisigem Blick, dass Mia gehorsam aufsprang.
    »Jetzt drehst du ja völlig durch«, keifte sie und verließ hastig das Haus. Sie begriff nicht gleich, was passiert war. Was war so schlimm daran, Annika an Sinn und Zweck eines Friseurbesuchs zu erinnern? Nein, dachte sie bestürzt, als sie in der S-Bahn saß, es waren nicht die Haare, es war der Sex. Er war ihnen allen immer im Weg. Die einen hatten zu viel davon, die anderen zu wenig. Und wieder andere suchten sich die falschen Partner dafür.
    Sie fuhr durch die tief verschneite Stadt nach Hause. Nach dem vergangenen, sehr langen Winter hatte niemand damit gerechnet, dass es erneut so viel schneien würde. Doch dann fiel bereits Anfang Dezember der erste Schnee und ganz Norddeutschland versank für die gesamte Weihnachtszeit unter einer dicken, weißen Decke.
    An diesem Tag konnte Mia die Winterlandschaft jedoch nicht genießen. Den ganzen Heimweg beschäftigte sie ihr Gespräch mit Annika, und zuhause ließ sie sich zitternd auf ihr Sofa fallen. Das letzte Mal, als sie so einen Streit mit Annika gehabt hatte, waren sie vierzehn oder fünfzehn gewesen. Was war nur in sie gefahren, ihrer Freundin solche Vorwürfe zu machen? Und warum hatte Annika derart empfindlich reagiert? Geriet denn in letzter Zeit die ganze Welt aus den Fugen?
     
    »Kriegen wir denn deinen Stefan auch mal zu Gesicht?«, fragte Barbara Sommer.
    »Ja, sicher, irgendwann mal«, entgegnete Mia vage.
    Wie jedes Jahr verbrachte sie Weihnachten mit ihrer ganzen Familie in Lüneburg. Der Schnee, der so dicht fiel, dass er sich vor den Fenstern anhäufte, zauberte eine geradezu märchenhafte Stimmung. Sie waren den ganzen Tag mit den Mädchen rodeln gewesen und erst kurz vor Einbruch der Dämmerung durchgefroren heimgekehrt. Barbara kochte Punsch, zu dem sie ihre berühmte Schokoladentorte aßen. Florence und Chantalle verkrochen sich anschließend in eine Ecke und hörten ein neues Hörspiel von Bibi und Tina, während die Erwachsenen sich auf den Sofas und Sesseln niederließen und in wohlige Trägheit verfielen. Jean-Luc blätterte in einem Bildband über Tibet, den seine Schwiegereltern ihm geschenkt hatten. Walter sank immer tiefer in seinen Sessel und schloss müde die Augen.
    »Es ist aber schon richtig ernst, oder?«, fragte Marie.
    »Ja, natürlich.«
    Mia spürte selbst, wie lahm sie klang. Was war los mit ihr und Stefan? Warum sprach sie mit so wenig Begeisterung über ihn, obwohl er ihr alles bot, was sie brauchte? Er war intelligent, witzig, verständnisvoll, lebenslustig und aufmerksam. Sie verstanden sich großartig, wenn es um ihre Arbeit ging, und der Sex hatte auch nach fast einem halben Jahr kaum an Reiz verloren. Trotzdem kam Mia diese Beziehung wie ein Provisorium vor, ein Übergangsstadium, das zu etwas anderem hinführen sollte.
    Nur – wohin? Da war nichts und niemand in Aussicht.
    »Bist du denn glücklich?«, fragte Marie weiter. Sie musste den Dingen immer auf den Grund gehen.
    »Ja, ich bin glücklich.« Zu ihrer eigenen Verwunderung stellte Mia fest, dass das stimmte. Vor einem Jahr hatte sie sich so einsam und leer gefühlt, so hoffnungslos. Das war jetzt ganz anders.
    »Also ist es doch ernst mit Stefan«, hakte Marie nach.
    »Das hat mit ihm gar nichts zu tun. Es liegt an mir selbst.« Wieder war Mia überrascht von ihren eigenen
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