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Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live - Die Traurigkeit der Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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Generation ja doch noch Klaviere und Klavierspieler geben. Aber all ihre Gesten, so wunderschön und aufrichtig sie auch sein mochten, waren stets von einem Hauch von Schmerz und Nostalgie begleitet – mehr ein Sonnenuntergang als ein Sonnenaufgang.
    Klavier spielen zu lernen brachte für mich aber noch einige weitere Vorzüge mit sich. Die anderen Kinder fingen irgendwann an, mich »Piano Girl« zu nennen, und auch wenn sich das vielleicht nicht nach dem besten aller Spitznamen anhört, war ich sehr erleichtert darüber, da sie mich zuvor jahrelang »Zombie Girl« genannt hatten. Ich glaube nicht, dass irgendein anderes fünfjähriges Mädchen sich je so oft geprügelt hat wie ich.
    Ich war von jeher ziemlich groß und schlaksig, und mein schwarzes Haar und meine blasse Haut waren auch nicht gerade hilfreich. Am schlimmsten war jedoch die Tatsache, dass ich adoptiert war und die Identität meiner biologischen Eltern stets Anlass zu düsteren, morbiden und unheimlichen Spekulationen gab. Wenn ich mal wieder eine Auseinandersetzung mit anderen Kindern gehabt hatte, sprachen Mom und Dad natürlich immer mit deren Eltern, was allerdings nie etwas brachte. Manchmal legten sie dann vielleicht einen Tag Pause ein, aber am nächsten liefen sie wieder zur Höchstform auf und warfen mir an den Kopf, meine richtige Mom sei ein Zombie und mein Dad total verrückt gewesen. Daraufhin schlug ich auf die Kinder ein, bis sie mich schließlich am Boden hatten, und wenn ich nach Hause kam, behauptete ich stets, ich sei gestürzt, und weigerte mich, die Täter zu nennen.
    Wenn ich darüber nachdenke, was ich seither gehört und gelesen habe, sieht es mir ganz so aus, als ob sich einige Dinge in der neuen Welt im Vergleich zur alten nicht sonderlich verändert haben, aber leider scheinen es eher die unschönen Dinge zu sein, die gleich geblieben sind. Indem sie mir also Klavier spielen beibrachte, half meine Mom mir indirekt, weil ich dadurch weniger gehänselt wurde. Mein Dad hingegen half mir auf direktere Art, indem er mir zeigte, wie man kämpft – obwohl er mir vor meiner Mutter unzählige Male widersprach und mir erklärte, ich solle die anderen »einfach links liegen lassen«. Mit zehn war ich größer und damit schwerer als die meisten anderen Kinder in meinem Alter, besonders die Jungs, was zur Folge hatte, dass Piano Girl entschieden leichter durchs Leben gehen konnte, als es Zombie Girl je vergönnt gewesen war.
    Mir beizubringen, wie man kämpfte, ging auf ganz natürliche Art in das Training für mein erstes Gelübde zum Dienst an der Gemeinschaft über. Ich erinnere mich noch an einen Tag kurz vor meinem Gelübde, das – so wollte es die Tradition – zur Sommersonnenwende stattfinden sollte. Dad und ich gingen zum Üben auf das große Feld hinaus. Es war ein seltsam schöner Ort für die Art von Training, die wir dort durchgeführt hatten, seit ich ganz klein gewesen war. Nun, da mein Gelübde kurz bevorstand, kamen wir häufiger zum Trainieren hierher. Es war ein idyllisches Fleckchen, an dem Schmetterlinge durch die Luft flatterten und das permanente Summen der Heuschrecken zu hören war. Das Feld war dem, auf dem ich in meiner vermeintlichen Erinnerung angegriffen wurde, sehr ähnlich, aber es war nicht dasselbe. Auch das Gras ging mir nun nur noch bis zu den Knien. Es standen auch keine Bäume in unserer Nähe, zumindest keine großen, nur hier und da ein paar Grüppchen verwachsener kleiner Bäume. In der Mitte des Feldes stand ein einzelner großer Hickorybaum. Im Herbst ernteten wir seine Nüsse, und unter den besagten Bäumchen wuchsen jede Menge Blaubeersträucher, deren Früchte wir später im Sommer wieder ernten würden. An jenem Tag hatte jedoch keiner der Schätze dieses Feldes Saison – dies war kein Tag für solch friedliche Vorhaben.
    Wir fanden unsere alte Stelle wieder, an der das Gras noch immer platt getreten war und überall Messinghülsen verstreut lagen. Sie befand sich etwa dreißig Meter vom Hickorybaum entfernt, in den mein Dad vor Jahren eine alte gusseiserne Bratpfanne gehängt hatte. Wir wandten uns dem Baum zu und packten unsere Sachen aus. Es wehte eine leichte Brise, sodass der Tag nicht allzu heiß werden würde. Immerhin war es aber so warm, dass ich die raue Wolljacke auszog, die meine Mom für mich gemacht hatte. Etwa dreißig Meter zu unserer Rechten befand sich ein alter Holzzaun, auf dem mein Dad und ich vier Kaffeedosen abgestellt hatten, als wir das Feld betreten hatten. In
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