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Durch den Sommerregen

Durch den Sommerregen

Titel: Durch den Sommerregen
Autoren: Melanie Hinz
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Er ist tot und ich bin zu jung, um für die nächste Dekade nur Schwarz zu tragen.“
    „Das hat auch keiner verlangt, Leni. Nur manchmal scheint es, als …“
    „Als was?“ Ich hasse es, wenn er mich bei meinem Kindheitskosenamen nennt, nur um mich für die folgenden Worte milde zu stimmen.
    „Soll ich es wirklich aussprechen?“
    „Bitte, tu dir keinen Zwang an. Du bist geradeso schön in Fahrt.“
    „Als wärst du erleichtert.“
    Das ist tatsächlich ein Teil der Wahrheit, doch es ist wesentlich komplexer als das.
    „Sprichst du mit jemandem, Leni? Wenn du schon nicht mit uns redest …“
    Seit zwei Jahren versuchen sie, mir eine Therapie aufzudrücken. Weil Depressionen in unserer Familie nicht selten sind, finden meine Eltern bei mir wohl eine Prophylaxe angemessen. Davon kann man allerdings auch schon nicht mehr reden, da ich mir ziemlich sicher bin, dass sie mich bereits für mindestens leicht depressiv halten.
    Nur weil ich nicht gleich für einen neuen Kerl die Beine breit mache und es kaum erwarten kann, mir das nächste „Prachtexemplar“ ins Haus zu holen.
    Derzeit habe ich noch nicht mal Toleranz für die männlichen Macken innerhalb einer Beziehung. Selbstverständlich bin ich nicht fehlerfrei, doch acht Ehejahre können ziemlich desillusionieren und einem gleichzeitig den letzten Nerv für die Männerwelt rauben.
    Ich will einfach nicht, auch wenn es für meine Eltern untragbar scheint, in meinem Alter dauerhaft ohne Beziehung zu sein.
    „Ich muss gehen, Papa.“
    Die halb gerauchte Zigarette drücke ich im Aschenbecher aus und gebe meinem Vater zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Er ist enttäuscht, dass ich ihn schon wieder abwürge, das spüre ich. Doch er würde nie etwas sagen. Es kostet ihn genug Überwindung, diese Themen überhaupt anzusprechen.
    „Verabschiede dich wenigstens noch von deiner Mutter. Und fahr vorsichtig. Für den Abend sind starke Gewitter angesagt.“
    „Mach ich, Papa.“
    „Ich hab dich lieb, Leni.“
    Er ist der einzige Mann, der mir mit diesen Worten das Herz brechen kann. Weil er es nur so sagt, wenn ich ihn verletzt habe.

6.
    Es ist keine gute Idee, sein Angebot anzunehmen. Doch nachdem mich der Besuch bei meinen Eltern mal wieder völlig aufgerieben hat, kann ich der Ablenkung nicht widerstehen.
    Dank meines Navis finde ich problemlos das kleine Dorf im Süden von Mönchengladbach, wo sich Gabriels Haus befindet.
    Haus stimmt nicht ganz, Hof ist wohl der bessere Begriff. Ein ausgebauter Bauernhof, um genau zu sein.
    Er steckt wirklich voller Überraschungen.
    Sein VW-Bus steht in einem hohen Unterstand, wo früher vermutlich mal Traktoren abgestellt waren. Daneben parkt ein neuer Beetle. Auch wenn die Baujahre ziemlich auseinanderklaffen, scheint da jemand auf eine Automarke fixiert zu sein.
    Obwohl ich mir Gabriel kaum in diesem roten Kleinwagen vorstellen kann.
    Ich halte hinter seinem Bus und steige gerade aus dem Auto, da tritt er schon aus der Haustür. In zerrissenen Jeans, einem schwarzen T-Shirt und fliederfarbenen Clogs kommt er auf mich zu. Ich wiederhole: FLIEDERFARBEN!
    „Sehr schicke Schuhe“, bemerke ich mit einem Blick auf seine Füße und kann mir dabei ein Grinsen nicht verkneifen.
    „Lach du ruhig. Ich bin in meiner Männlichkeit genug gefestigt, um da drüberzustehen. Hallo Helena.“ Ganz selbstverständlich schließt er mich in die Arme.
    Und ich lasse ihn.
    Meine rechte Hand findet den Weg auf seinen Brustkorb, wo ich seinen Herzschlag spüre. Zu schnell lässt er mich wieder los.
    „Ehrlich gesagt, habe ich nicht mit dir gerechnet, aber ich freue mich sehr, dass du hier bist. Wie geht es deiner Hand?“
    „Ganz okay, wenn ich sie nicht zu sehr beanspruche.“
    „Magst du ein Glas Wein? Oder etwas anderes?“
    Einen Arm legt er um meine Schultern und führt mich durch die offene Haustür. Gleich neben dem Eingang streift er sich die Schuhe ab, also tue ich es ihm gleich.
    „Lieber einen Tee, falls du welchen hast. Sonst finde ich den Weg nach Hause nicht mehr.“
    Ich trinke grundsätzlich keinen Alkohol, wenn ich noch fahren muss, auch wenn es nur ein halbes Glas Wein ist.
    „Kein Problem. Komm mit.“ Er nimmt meine rechte Hand und zieht mich mit sich durch den Wohnraum. Trotz der tiefen Decken und dem dunklen Holz an jeder Ecke fühlt man sich nicht eingeengt. Durch eine große Fensterfront auf der Rückseite des Hauses fällt genügend Licht herein und die eher sparsame, aber dennoch gemütliche Möblierung bietet
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