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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Augen weit offen, lächelte, wie Engel lächeln.
    Es war ein stilles Kind, und ehe Holden noch richtig begriffen hatte, daß es wirklich und wahrhaftig auf der Welt war, hatte es sich bereits in einen kleinen goldfarbenen Gott verwandelt und sich zum unbestrittenen Despoten in dem Hause, das da hinab sah auf die Stadt, aufgeschwungen. Es waren Monate ungetrübten Glückes für Ameera und Holden - des Glückes in einer Welt, die abgeschlossen war durch das Holztor und bewacht wurde von Pir Khan. Tagsüber erfüllte Holden seine Amtspflichten, tiefes Bedauern für alle im Herzen, die nicht so glücklich waren wie er, und voll Sympathie für kleine Kinder, die auf den engen Spielplätzen ihre Mütter in Entzücken und Staunen versetzten. Brach der Abend an, kehrte er zu Ameera zurück, die immer von neuen Wundertaten Totas zu berichten wußte: wie er bereits zielbewußt die Finger zu bewegen verstünde - was offenbar ein Mirakel bedeutete - und später, daß er aus eigenem Antrieb sein niedriges Bettchen verlassen habe und auf dem Boden herumgekrochen sei - einmal sogar drei Atemzüge lang aufrecht auf zwei Beinen.
    »Und es waren sogar lange Atemzüge«, erklärte Ameera; »ich weiß es bestimmt, denn mir stand, das Herz still vor Wonne.«
    Später nahm Tota das Getier des Hauses in Augenschein: die Brunnenochsen, die kleinen grauen Eichhörnchen, die Schnattergans, die in einem nassen Loch beim Brunnen wohnte, und insbesondere Mian Mittu, den Papagei, der immer furchtbar schrie, wenn ihn der Kleine bei den Schwanzfedern zauste - bis Ameera oder Holden zu Hilfe eilten.
    »Du Bösewicht! Du gewalttätiges Kind!« pflegte Ameera bei solchen Gelegenheiten zu schelten. »So etwas deinem Bruder oben auf dem Hausdach?! Tobah, Tobah! Pfui! Pfui! Aber wart, ich weiß einen Zauberspruch, der macht dich weise wie Suleiman und Aflatoun. Da schau« – und sie reichte dem Kind eine Handvoll Mandeln hin - »schau! Wir zählen jetzt bis sieben. Im Namen Gottes!«
    Dabei hebt sie den wütenden und schlimm zerzausten Papagei auf seinen Käfig hinauf, setzt sich zwischen ihn und das Kind, knackt und schält eine Mandel und hält sie mit ihren weißen Zähnen fest: »Lach nicht, mein Leben, es ist ein wirklicher Zauber. Schau, ich gebe Mian Mittu die eine Hälfte und Tota die andere!« Behutsam holte sich der Vogel mit dem Schnabel seinen Teil, und die andere Hälfte küßte sie in den Mund des Kindchens hinein, das langsam die Mandel aß mit verwunderten Augen. »Das werden wir sieben Tage hindurch tun; dann wird unser kleiner Sohn ein kühner Redner und ein Weiser werden. Sag, Tota, was wird sein, bis du ein Mann bist und ich eine alte grauhaarige Frau?« Tota verschlang seine fetten Beinchen als Antwort zu den erstaunlichsten Verknotungen. Kriechen? Ja, das ging noch an, aber seine Jugend mit eitlen Gesprächen verbringen? Nein! Wonach es ihn gelüstete, war: Mian Mittu wieder in den Schweif zu zwicken.
    Als er soweit war, die Würde eines kleinen silbernen Halsbandes schätzen zu können, das ihm, mit einem magischen Plättchen versehen, umhing als größter Teil seiner Bekleidung, kletterte er nach langer gefahrvoller Reise hinab in den Garten zu Pir Khan und bot ihm seinen ganzen Schmuck dar, - denn er hatte einst die Großmutter belauscht, wie sie mit Hausierern schacherte - für einen Ritt auf Holdens Pferd. Pir Khan vergoß Tränen und setzte zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit die kleinen ungeübten Füßchen auf sein graues Haupt; dann trug er den Abenteurer in die Arme der Mutter zurück und schwur, Tota würde, noch ehe ihm ein Bart wüchse, ein Führer der Menschheit werden.
    An einem heißen Abend, als Tota zwischen Vater und Mutter auf dem Dache saß und beobachtete, wie die Gassenjungen Papierdrachen steigen ließen, verlangte er plötzlich, selbst ein solches Ding zu besitzen, das aber Pir Khan steigen lassen müsse - denn er selbst fühlte sich Sachen gegenüber, die größer waren als er selbst, nicht recht geheuer. Als Holden dazu lachte und meinte: er sei doch noch ein »winziges Fünkchen«, stellte er sich auf die Füße und verteidigte seine kürzlich erst erworbene Individualität mit den gravitätischen Worten: »Hum park nahin hai. Hum admi hai.«[Ich bin kein Fünkchen; ich bin ein Mann]
    Dieser Ausspruch erschreckte Holden förmlich und zwang ihn direkt, über Totas Zukunft nachzudenken. Die Gedanken wollten nicht mehr aus seinem Kopf: dieses Leben ist fast zu schön, als daß es ewig dauern könnte! - Und
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