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Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)

Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)

Titel: Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)
Autoren: Oliver Bottini
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sprach von Kindern und einem Häuschen draußen, und der Termin war um einen Tag nähergerückt.
    Hey, und wer ist das ?, fragte Mick mit tiefer Stimme.
    Sie rappelte sich hoch. Auf der Arbeitsfläche lag das Foto von Annetta.
    Hübsch, die Kleine, sagte Mick, und zu den Sekretärinnen, Kassiererinnen, Putzfrauen, Verkäuferinnen, Kellnerinnen und der Schriftstellerin, die er im Sessellift von Scuol in seine Beichte einbezogen hatte, kam in ihrem dunklen Wahn eine Vierzehnjährige hinzu.
    Am frühen Morgen klingelte das Telefon.
    »Jemand hat ihn gestern gesehen«, sagte Rainer Lederle, der Lieblingskollege. »Den Franzosen mit den blauen Turnschuhen.«
    Ein winziger Lebensmittelladen in einem unterm Schnee verschwundenen Dorf Richtung Rhein, hinter der Kassentheke ein runzliges Weiblein, Hermine Schwarzer. Vor ihr lag die Badische Zeitung , aufgeschlagen die Seite mit der Bitte um weitere Hinweise aus der Bevölkerung.
    »Ich erinnere mich, weil ich doch kein Wort Französisch kann, und der da konnte kein Wort Deutsch.« Sie klopfte mit winzigen, verdorrten Fingern auf die Zeitung. Ein Großer, Schmaler, zu dünn angezogen für zwanzig Grad unter null, aber hübsch war er und freundlich und sehr, sehr müde. »War mit dem Auto da, ein helles Auto, gelb oder weiß.«
    »Ein Peugeot?«, fragte Bermann.
    Hermine Schwarzer zuckte verlegen die Achseln.
    »Haben Sie seine Schuhe gesehen?«
    »Dunkel und ganz durchnässt.«
    »Was hat er gekauft?«, fragte Louise. Sie stand im schmalen Gang vor der Theke, eingezwängt zwischen Bermann und dem kleineren Lederle, der immer ein wenig nach Krankheit und Verfall roch.
    »Obst, Brot, Käse, Kekse. Viele Kekse.«
    Lederle schrieb mit.
    »Toilettenpapier. Taschentücher. Halspastillen. Tampons.«
    Louise spürte, wie Bermann und Lederle erstarrten.
    Annetta lebte.
    Aus Stuttgart kam ein Hubschrauber, aus Lahr eine Hundertschaft Bereitschaftspolizisten, auch die Hunde waren da. Ausgehend von Hermine Schwarzers Laden überprüften und durchsuchten sie Häuser, Höfe, Schuppen, durchkämmten mühsam weiße Wälder, eisige Täler, den Radius Meter um Meter vergrößernd, entsetzlich langsam, viel zu langsam für Bermann, der wie alle anderen wusste, dass es jetzt um Stunden, um Minuten ging, und seine Wucht nur schwer im Zaum halten konnte. Louise war froh, dass es so war, dass alle im Bann seiner Energie standen, so hatte keiner einen Blick für ihre kleinen Nöte. Das Zittern, die Konzentrationsschwäche, die Orientierungslosigkeit, die Kälte, die Hitze.
    »Kaffee?«, fragte Lederle und füllte seinen Becher aus der Thermoskanne.
    »Nein, danke.«
    Aufwärmpause im Wagen bei laufendem Motor am Ende der Durchfahrtsstraße, wo das Dorf abrupt endete. Die weiße Ebene ging in den weißen Himmel über, vielleicht standen da ein paar unsichtbare weiße Bäume, ein paar weiße Häuser, vielleicht auch nicht, vielleicht fand die Welt hier ja ein Ende, weiter ging es eben nicht. Lederle summte ein Liedchen vor sich hin, immer war dieser gemütliche, aufrichtige Mann fröhlich, dachte Louise, selbst hier, selbst jetzt, woher kamen nur diese Heiterkeit und Zuversicht. Aber er summte langsam und bedächtig, und daran erkannte sie, wie angespannt er war.
    »Ich muss aufs Klo.« Sie stieg aus und lief durch die brennende Kälte zurück in den schmalen warmen Laden. Nein, so was führe sie nicht, Schloss-Enteiser, erwiderte Hermine Schwarzer ratlos. Ach, nicht so schlimm, sagte Louise, Alkohol tue es manchmal auch, hochprozentiger Alkohol, am besten ein kleines Fläschchen, das lasse sich leichter transportieren.
    Beruhigt und bedrückt rannte sie zurück zu Lederle und dachte: Waren sie nicht tatsächlich Jäger, gerade jetzt in diesen Tagen und Nächten, die Meister unter den Jägern, na siehst du, das passt schon alles für den Moment.
    Lederle war ausgestiegen und ein paar Meter in ihre Richtung geeilt, die Wagentür stand offen, laut rief er in den wattigen Mittag: »Munzingen!«
    Er fuhr über die Dörfer und das Land, hinterließ immer mehr Spuren, ein großer, attraktiver Franzose, viel zu dünn gekleidet für diese arktischen Wochen, der für zwei Menschen Essen besorgte und immer nur allein gesehen wurde, beim Einkaufen, auf einem Supermarktparkplatz, in seinem weißen Wagen. Drei Zeugen in den vergangenen Stunden, er schien panisch zu werden, denn wo er hinfuhr, das ergab keinen Sinn: rund um den Tuniberg, als könnte er sich nicht von Freiburg entfernen, wo er Annetta entführt
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