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Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)

Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)

Titel: Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)
Autoren: Oliver Bottini
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Innere, ein Chaos aus Kleidung, Lebensmittelverpackungen, Flaschen, Decken. Keine Annetta.
    Hinter dem Auto blieben ihre Augen an einem Aufkleber auf der Heckscheibe hängen: It’s a Man’s World. Wut raste durch ihre Blutbahnen, sie wandte den Kopf, ließ den Blick über den Waldrand gleiten, die Straße, aber Calambert war nicht zu sehen. Sie würde ihn nicht den Kollegen überlassen. Sie wollte ihm die Handfesseln anlegen, a woman .
    Sie öffnete den Kofferraum.
    Eine braune Decke, ein leises Wimmern. Nur der blutverkrustete Stirnansatz war zu sehen, verklebte Haare. »Alles wird gut, flüsterte Louise, »alles wird jetzt gut, Schatz«, während sie vorsichtig mit der Hand über Annettas Schulter strich. Erst nach und nach begriff sie, dass die Handgelenke an die Fußgelenke gefesselt waren, Calambert hatte das Mädchen regelrecht in der Mitte gefaltet, um es im Kofferraum unterbringen zu können.
    Sie legte verschorfte Hände und Füße frei, stieß auf breite Bahnen Paketband, die sie mit dem Taschenmesser zerschnitt. Ohne recht zu wissen, was sie sagte, sprach sie auf Annetta ein, streichelte sie, wagte es schließlich, die Decke vorsichtig von ihren Augen zu ziehen, auch hier Spuren furchtbarer Misshandlungen, Schwellungen und Blut und ein unendlich verstörter Blick.
    Als sie ein Martinshorn hörte, richtete sie sich auf. Sie holte zwei weitere Decken aus dem Fond, legte sie sanft über Annetta, dann rannte sie los.
    Das Schneegestöber wurde immer dichter, der Blick reichte auf der schmalen Straße kaum zehn Meter weit. So hörte sie Calambert, bevor sie ihn sah. Lärmend kämpfte er sich durch den Wald, brach keine acht Meter vor ihr durchs Gestrüpp auf die Straße. Sie wollte eben eine Warnung rufen, als ein Schuss fiel, Calambert hatte die Waffe mehr oder weniger in ihre Richtung abgefeuert, so genau war das nicht zu erkennen im Schnee und in der Wut und all den anderen Gefühlen in ihrem pochenden Schädel. Erneut fiel ein Schuss, ein scharfer Geruch stieg ihr in die Nase, die Walther war nach hinten gezuckt. Calambert hatte sich zu seinem Oberschenkel hinabgebeugt und schrie, rund um seine Füße floss Rot ins Weiß, It’s a Man’s World , dachte Louise. Seine Arme schlackerten hin und her, der Kopf fuhr wieder hoch, mit ihm vielleicht die Waffenhand, vielleicht auch nicht, das war alles nicht so genau zu erkennen, wieder zuckte die Walther krachend, da hörte Calambert auf zu schreien, torkelte stumm nach hinten und fiel in den Schnee. Sie ging zu ihm, sah ihn inmitten eines rasch wachsenden Flecks aus roten Kristallen Sekunden später sterben.
    Annetta lebte noch vier Tage. Im künstlichen Koma trieb sie auf der Intensivstation dem Tod entgegen. Tag für Tag stand Louise vor dem großen eckigen Sichtfenster, die Mutter und den Vater neben sich, so reglos wie die Tochter jenseits der Scheibe. Einmal legte die Mutter die Hand an das Fenster und sagte: »Sie ist auf einer langen Seereise, und das ist das Bullauge, und sie kann rausschauen, wenn sie will, und wir können reinschauen.«
    »Gehen Sie doch zu ihr«, sagte Louise.
    »Das würde sie nicht wollen.«
    »Nein«, bekräftigte der Vater, »nicht unsere Tochter.«
    Also betrat Louise das dunkle Schiff und setzte sich an Annettas Bett, um sie nicht allein Abschied nehmen zu lassen.
    »Danke«, sagte die Mutter, als es vorbei war.
    Der Vater ergriff ihre Rechte mit beiden Händen und sagte: »Danke, dass Sie das Schwein abgeknallt haben.«
    Habe ich?, dachte Louise. Schon am Morgen danach war die Begegnung mit Calambert nicht mehr zu erinnern gewesen. Ein irrealer Albtraum aus Kälte, Verzweiflung, Angst und Erschöpfung, in dem keine Gedanken mehr gewesen waren, nur Gefühle und Reaktionen und hin und wieder das Klirren eines kleinen Fläschchens gegen den Schlüsselbund in ihrer Tasche.
    »Was hab ich gesagt, danach?«, fragte sie Rolf Bermann.
    »Dass er wieder auf dich schießen wollte.«
    Bermann stellte keine Fragen und ließ keine Fragen zu. Nicht einmal eine Kugel im Oberschenkel habe den Menschenräuber und Totschläger René Calambert davon abgehalten, die Waffe erneut auf die Kollegin Bonì zu richten, entschied er. Die Kollegin habe erneut auf seine unteren Extremitäten gezielt, doch aufgrund der Sichtverhältnisse und der unkontrollierten Bewegungen des Verwundeten habe ihn ihre zweite Kugel unglücklicherweise in den Bauch getroffen, bevor er erneut habe schießen können. Bedauerlich, aber eben eindeutig Notwehr.
    So brachte
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