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Dunkler Fremder

Dunkler Fremder

Titel: Dunkler Fremder
Autoren: Jack Higgins
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Stimme lag ein
ungeduldiger Unterton. »Simon ist vor sieben Jahren gefallen, Mr.
Shane. Sie haben sich wirklich viel Zeit gelassen, bis Sie kamen, um
Ihr Mitgefühl zu bekunden.«
      Er blickte zu ihr hinüber, sein Gesicht war
vollkommen ausdruckslos. »Das tut mir aufrichtig leid, aber ich
fürchte, ich hatte keine andere Wahl.«
      Einen Augenblick lang herrschte Stille, und sie
runzelte wieder die Stirn. »Keine andere Wahl? Wovon, um alles in
der Welt, sprechen Sie?«
      Shane stand auf und ging an ihr vorüber zur
Tür, bis er beinahe draußen im strömenden Regen stand.
Sein Blick ruhte auf dem verwilderten Garten, aber seine Gedanken waren
in die Vergangenheit gerichtet. »Ich habe die letzten sechs Jahre
in einer Anstalt verbracht, Miß Faulkner. Ich wurde erst vor
    wenigen Tagen entlassen.«
      Ihr Atem zischte scharf zwischen ihren Zähnen,
und er fuhr fort, ohne sich umzudrehen. »Unmittelbar nachdem Ihr
Bruder ums Leben kam, wurde ich selbst verwundet. Granatsplitter im
Gehirn. Die Chinesen haben die meisten herausgeholt, aber an ein
winziges Stück konnten sie nicht herankommen. Nach und nach
führte es zu einem fortschreitenden Verlust des
Gedächtnisses. Als ich von den Chinesen schließlich
entlassen wurde, konnte ich mich nicht einmal mehr an meinen Namen
erinnern, konnte mich nicht mehr selbst versorgen.« Er zuckte mit
den Schultern. »Sie brachten mich in einer Anstalt unter. Sonst
konnten sie nichts mehr für mich tun. Jede Operation stand
außer Frage.«
      Er bemerkte plötzlich ihre Hand auf seinem Arm,
und als er sich ihr zuwandte, stand in ihren dunklen Augen der Ausdruck
von tiefem Mitgefühl. »Wie schrecklich. Aber Sie haben
gesagt, daß sie erst vor wenigen Tagen entlassen worden
sind.«
      Er nickte knapp. »Das ist richtig. Vor einem
Monat stürzte ich eine Treppe hinunter und zog mir eine schwere
Gehirnerschütterung zu. Anscheinend geriet dadurch der Splitter in
Bewegung. Nachdem ich annähernd sieben Jahre in einem
undurchdringlichen Nebel gelebt hatte, erwachte ich eines Morgens im
Hospital und fühlte mich wie neugeboren.« Er lächelte
düster. »Das einzige Problem war, daß wir im Juni 1952
lebten, zumindest soweit es mich betraf. Ich hatte eine ganze Menge
nachzuholen.«
      Als sie antwortete, klang Verständnis in ihrer
Stimme mit. »Jetzt verstehe ich. Das letzte, woran Sie sich
erinnerten, war, daß Simon in den Kämpfen gefallen war, kurz
bevor Sie selbst verwundet wurden. Deshalb kommen Sie erst heute, um
uns das alles zu berichten.«
      Er ließ seine Zigarette in eine Regenpfütze auf der Terrasse
fallen und beobachtete mit gerunzelter Stirn wie sie zischend erlosch.
Nach einer Weile seufzte er, wandte sich ihr zu und blickte ihr fest in
die Augen. »Von einer wichtigen Tatsache abgesehen haben Sie
recht.«
      Sie sah überrascht auf. »Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz.«
      Er lehnte sich gegen die Tür und antwortete
ruhig. »Ich meine, daß Sie das alles mißverstanden
haben, Miß Faulkner. Verstehen Sie doch, Ihr Bruder ist nicht im
Kampf gefallen.«

    3

      Laura Faulkners Gesichtsausdruck verriet ihr
fassungsloses Erstaunen. Einen Augenblick lang blickte sie ihn nur
schweigend an, dann meinte sie nachdenklich. »Darüber
möchte ich vollkommen ungestört mit Ihnen sprechen. Ich habe
meinen Vater zwar in sein Bett gebracht, aber er ist durchaus in der
Lage, hier jeden Augenblick wieder zu erscheinen.«
      Shane nickte verstehend, und sie ging durch das Zimmer
voraus in die Diele, führte ihn durch einen schmalen Gang zur
Küche, griff dort nach einem alten Regenmantel, den sie sich
achtlos über die Schultern warf.
      »Ich fürchte, Sie werden wieder naß werden«, sagte sie und öffnete die Hintertür.
      Der Garten fiel in stufenförmigen Terrassen zu
einer niederen Mauer und einer großen Holzhütte ab, die auf
Pfählen einige Fuß über dem Boden stand. Laura Faulkner
lief, den Kopf wegen des Regens gesenkt, den Weg hinab voraus, und
Shane folgte ihr. Sie stiegen die Stufen zu der Plattform hinauf, auf
der die Hütte errichtet war, und sie öffnete die Tür und
ging hinein.
      Die gegenüberliegende Seite der Hütte
bestand aus einem einzigen großen Fenster, durch das man in das
tiefe Tal hinabblickte, durch das sich der Fluß hinunter zur
Stadt schlängelte. Es war ein unerwartet schöner Ausblick.
Als Shane nähertrat, erschreckte ihn ein drohendes Knurren, und
ein kräftiger schwarzer Dobermann, der auf einem Diwan
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