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Dunkler Fremder

Dunkler Fremder

Titel: Dunkler Fremder
Autoren: Jack Higgins
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die Scheibe
ein und tastete nach dem Riegel. Es kostete ihn einige Mühe, aber
ein paar Augenblicke später stand er drinnen in der warmen
Dunkelheit.
      Fahles Licht drang von der Gaslaterne draußen
durch das Fenster herein, und er tastete sich behutsam vor, versuchte
mit den Augen das Dunkel zu durchdringen. Er befand sich offensichtlich
in einer Werkstatt. Blechplatten lehnten an den Wänden,
beschädigte Autotüren, Kotflügel und Stoßstangen
lagen auf dem Boden verstreut. Er näherte sich der Werkbank, die
in der Mitte des Raumes stand, und plötzlich überkam ihn
tiefe Erregung, als er eine große, mit einem Hebel zu bedienende
Blechschere erkannte, die an einem Ende der Werkbank fest anmontiert
war.
      Er schob die Arme unter die obere Schneide der Schere
und legte das Verbindungsstück der Handschellen über die
untere, zog seine Handgelenke so weit auseinander, wie die Fessel es
zuließ, und drückte mit dem Körper den Hebel des
Geräts herunter. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er
holte tief Luft und preßte mit aller Kraft nach unten. Die
Schneide durchtrennte das Bindeglied der Fesseln so mühelos, wie
ein Messer in Butter eindringt. Er trat zurück: Seine Hände
waren frei.
      In einer Ecke standen einige Blechspinde, und er
untersuchte sie schnell. Die meisten waren mit
Vorhängeschlössern verriegelt, aber einer ließ sich
leicht öffnen. Er fand einen Emailbecher, mehrere ölbefleckte
Overalls und ein Paar Arbeitsstiefel mit metallverstärkten Kappen.
Er lehnte sich gegen die Kante der Werkbank und schob die
Füße hinein. Die Schuhe waren ihm zwar eine Nummer zu
groß, aber er schnürte sie schnell zu
    und trat wieder an das Fenster.
      Draußen war alles still, und er lauschte einen
Augenblick lang auf den Regen, der auf das Pflaster trommelte, vernahm
den schwachen, fernen Verkehrslärm von der Hauptstraße her,
ehe er ein Bein über das Fenstersims hob und wieder in die Gasse
hinauskletterte.
      Als er das Fenster hinter sich zuzog, ertönte aus
der Dunkelheit eine Stimme schroff: »Halt! Stehen bleiben!«
      Ein junger Polizist trat in den Lichtschein der
Laterne. Regen tropfte von seiner Schirmmütze, und er streckte die
Hand nach ihm aus. Er wich etwas zur Seite, und das Licht der Laterne
fiel voll auf ihn. Der Polizist verharrte plötzlich regungslos.
Sein Gesicht wurde im Licht der Laterne blaß und kränklich.
In seinen Augen stand Furcht. »Mein Gott! Martin Shane!«
sagte er halblaut.
      Shane ließ ihm keine Chance. Kräftig trat
er mit dem rechten Fuß aus, die Stahlkappe des Stiefels traf den
Polizisten unter dem Knie, so daß er aufschrie und
rückwärts gegen die Wand taumelte. Mit schmerzverzerrtem
Gesicht tastete er nach seiner Trillerpfeife. Shane schlug ihm mit der
Faust gegen den ungedeckten Kiefer, machte kehrt und rannte durch die
Seitengasse davon auf die Hauptstraße zu.
      Die Uhr in einem Schaufenster zeigte sechs Uhr
dreißig. Um diese Zeit abends im Spätherbst waren die
Straßen fast menschenleer. Die Arbeiter waren gerade zu Hause
angelangt, und die Müßiggänger, die am Abend ihrem
Vergnügen nachgehen, waren noch nicht unterwegs. Während er
benommen auf die Leuchtzeiger der Uhr starrte, wurden die Schmerzen in
seinem Kopf plötzlich wieder heftiger, und er schlurfte blindlings
über die Straße.
      Der Schmerz war etwas Lebendiges, und das Pflaster vor
ihm erstreckte sich schier ins Unendliche. Er tastete sich an den
Häuserwänden entlang weiter, schwankte unsicher wie ein
Betrunkener. Der Wind schlug ihm ins Gesicht, und die Regentropfen
stachen wie Nadeln. Als er an ein hellerleuchtetes Schaufenster kam,
blieb er stehen und starrte hinein. Auf der Rückseite des Fensters
hing ein großer Spiegel, aus dem ihm ein Mann entgegenblickte.
      Schwarzes Haar klebte über der hohen Stirn. Ein
Auge war halb geschlossen, die rechte Gesichtshälfte war
geschwollen und durch eine tiefe grellrote Schramme verunstaltet. Der
Mund war verquollen, und die Lippen waren blutig, auch sein Hemd war an
der Brust blutbefleckt.
      Aus irgendeinem Grund lächelte er, und dieses
schreckliche Gesicht verzerrte sich zu einem schmerzgequälten
Grinsen. Als er sich abwandte, ging ein Pärchen an ihm
vorüber, und er hörte den leisen erstickten Aufschrei der
Frau, dem ein aufgeregtes Getuschel folgte. Schnell überquerte er
die Fahrbahn und suchte Schutz in einer Nebenstraße.
      So schnell er vermochte, hastete er weiter und
entfernte sich vom Zentrum der
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