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Dunkler Fremder

Dunkler Fremder

Titel: Dunkler Fremder
Autoren: Jack Higgins
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Stadt. Nach und nach veränderten
die Straßen und Häuser ihren Charakter, bis er ein
Wohnviertel mit heruntergekommenen viktorianischen Mietshäusern
erreichte, die in der Dunkelheit zu beiden Seiten aufragten. Die
Straßen waren von Kastanien gesäumt, deren abgefallenes Laub
das Pflaster schlüpfrig machte. Ein paarmal taumelte er vor
Schwäche und wäre beinahe gestürzt, und immer wieder
mußte er an einer Gartenmauer Halt suchen und sich ausruhen.
      Die Straßenlaternen durchbrachen in
Abständen die Dunkelheit, und er arbeitete sich mühsam von
einem fahlgelben Lichtkegel zum nächsten vor. Als er am Ende einer
Straße erschöpft haltmachte, zerriß das durchdringende
Schrillen einer Sirene plötzlich die Stille, und gleich darauf bog
ein Polizeistreifenwagen um einen Häuserblock und kam direkt auf
ihn zu. Er schlüpfte durch ein Gartentor und suchte Deckung im
Schutz einer Hecke, bis der Streifenwagen vorüber war. Als das
Heulen der Sirene in der Ferne verklungen war, verließ er den
Garten wieder und blieb an der nächsten Straßenecke stehen.
      Der Regen nahm unvermittelt an Stärke zu, prallte
in silbernen Tropfen vom Pflaster ab. Er schlug den Kragen seines
Jakketts hoch und sah sich verzweifelt nach allen Seiten um, und dann
erkannte er verschwommen die Umrisse einer Kirche, die im Dunkel auf
der anderen Straßenseite aufragte.
      Er taumelte über die Fahrbahn hinüber,
drückte ein eisernes Gittertor der Friedhofsumzäunung auf,
das knarrend nachgab, und ging zwischen den Gräbern hindurch.
Schwach schimmerte Licht hinter einem der hohen farbigen Fenster und
warf rautenförmige Schatten über die Grabsteine auf dem
Kirchhof. Er stieg die Stufen zum Eingangsportal hinauf, das sich
leicht und lautlos öffnen ließ, als ob es ihn willkommen
heißen wollte, und er betrat das Innere der Kirche.
      Stille umgab ihn – eine sehr tiefe Stille. Er
stand im hinteren Teil des Kirchenschiffs und blickte zum Altar und dem
Ewigen Licht hinüber. Aus irgendeinem Grund ging er, den Blick
fest auf das Licht geheftet, darauf zu. Die Flamme des
Öllämpchens schien aufzuzüngeln und dann wieder zu
schwinden. Er schloß die Augen und atmete ein paarmal tief durch.
      Eine sanfte Stimme mit irischem Akzent fragte: »Entschuldigen Sie, fehlt Ihnen etwas?«
      Shane wandte sich hastig um. Links von ihm befand sich
eine kleine Seitenkapelle, deren Wände von einem halb beendeten
Fresko bedeckt waren. Davor stand ein großer grauhaariger Mann in
einem Overall, mit einem Pinsel in der Hand. Über dem Overall
ragte der Kragen eines Geistlichen heraus.
      Shane befeuchtete die Lippen und versuchte zu
sprechen, doch die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, er brachte
nur ein heiseres Krächzen hervor. Benommenheit überfiel ihn
wieder. Schwankend trat er einen Schritt vor und tastete Halt suchend
nach einer Kirchenbank. Ein überraschend kräftiger Arm legte
sich stützend um seine Schulter. Er öffnete die Augen und
versuchte zu lächeln. »Im Augenblick geht es mir nicht
besonders gut. Gönnen Sie mir ein paar Minuten Ruhe und Schutz vor
dem Regen, dann geht es wieder.«
      Der Priester unterdrückte einen erschreckten
Ausruf, als er Shane ins Gesicht blickte. »Gott erbarme sich
unser.«
      Shane versuchte sich von dem stützenden Arm des
Priesters zu lösen. »Es ist gleich wieder alles in Ordnung.
Lassen Sie mich bitte einen Augenblick hier sitzen.«
      Der Priester schüttelte den Kopf. »Sie brauchen einen Arzt. Sie sind verletzt.«
      Panik drohte Shane zu übermannen, er tastete nach
dem stützenden Arm. »Holen Sie nicht die Polizei. Was Sie
auch tun, aber bitte nicht die Polizei.«
      Der Priester blickte ihn prüfend an und
lächelte mild, wobei eine auffällig häßliche Narbe
auf seiner rechten Wange mit dem Lächeln verschmolz, das irgendwie
das ganze Gesicht erhellte. In diesem Augenblick erkannte Shane den
Priester.
      »Sie sind Pater Costello«, sagte er.
»Sie waren Pfarrer bei der 52. Infanteriedivision in
Korea.«
      Der Geistliche nickte und führte ihn behutsam zu
einer schmalen Tür im hinteren Teil der Kirche. »Ja, ich war
in Korea. Sind wir uns da begegnet?«
      Shane schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich
habe sie mehrmals gesehen.« Während der Pater die Tür
öffnete und ihn hindurchgeleitete, fuhr er fort: »Ich
erinnere mich daran, wie Ihnen diese Narbe beigebracht wurde. Sie
verließen unsere Stellung, um einem verwundeten Chinesen zu
helfen, und er griff
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