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Dunkler Fremder

Dunkler Fremder

Titel: Dunkler Fremder
Autoren: Jack Higgins
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Hinterhalt. Wir gingen in der Dunkelheit vor, und plötzlich
fielen sie von allen Seiten über uns her. Wir kamen nicht mal
dazu, auch nur einen einzigen Schuß abzugeben.«
      »Und was haben sie mit Ihnen gemacht?« fragte sie.
      Er schob die Hände tief in die Taschen und lehnte
sich gegen die Wand. »Ganz in der Nähe waren ein kleiner
buddhistischer Tempel und ein Kloster. Dort hatte ein chinesischer
Nachrichtenoffizier seinen Gefechtsstand, ein Colonel Li.« Als er
den Namen aussprach, war ihm die Kehle wie zugeschnürt, und
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
      Erschreckt neigte sie sich vor. »Fehlt Ihnen etwas?«
      Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Nein,
nein, es ist alles in Ordnung.« Er ging an ihr vorüber zum
Fenster und blickte hinaus. »Colonel Li war ein unscheinbar
wirkender, kleiner Mann mit einer dicken Brille und einem
Klumpfuß. Irgendwie hatte er erfahren, daß ein Angriff
bevorstünde, und wollte wissen, wann er erfolgen sollte. Deshalb
nahm er uns in die Mangel.«
      Laura Faulkners Augen weiteten sich. »Was soll das heißen – er nahm Sie in die Mangel?«
      Wieder hob er wie ratlos die Schultern. »Ich
möchte eigentlich annehmen, daß Ihnen diese
mittelalterlichen Methoden hinreichend bekannt sind, die beim
Verhör von Gefangenen in unserer ach so hochzivilisierten Welt
gang und gäbe sind.«
      Ihr Blick verfinsterte sich, und sie nickte
nüchtern. »Ich verstehe. Sprechen Sie bitte weiter, und
versuchen Sie nicht, meine Gefühle zu schonen. Ich möchte
genau wissen, wie es gewesen ist.«
      Shane verzog die Lippen zu einem gezwungenen
Lächeln. »Im Erdgeschoß des Klosters lag ein
großer Raum, den früher einmal der Abt bewohnt hatte. Dort
führte Colonel Li seine Verhöre durch. Von dort zweigte ein
schmaler Gang ab, an dem fünf Zellen lagen, in denen die
Mönche ihre Bußübungen verrichtet hatten. Er zwang uns
dazu, uns in dem Verhörzimmer nackt auszuziehen und ließ uns
dann in die Zellen sperren. Eine teilte ich mit Charles Graham. Die
anderen hatten je eine für sich allein.«
      Es schien ihr schwerzufallen, etwas darauf zu sagen.
Nach einigem Zögern gelang es ihr zu fragen: »Und was
geschah dann?«
      Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte
Ihnen die Einzelheiten ersparen. Li erschien und ließ uns einzeln
vorführen, einen nach dem anderen, und dabei schleifte sein
Klumpfuß über die Steinplatten des Ganges. Er versuchte es
drei Stunden lang, aber keiner von uns sagte ein Wort.
Schließlich brachten sie Charles Graham zu mir in die Zelle
zurück, und Colonel Li erklärte mir, er würde jetzt noch
einmal von vorn anfangen, doch diesmal nannte er seine Bedingungen. Er
würde jeden nur noch einmal auffordern auszusagen, und wer sich
weigerte zu antworten, würde sofort hinaus auf den Klosterhof
gebracht und auf der Stelle erschossen.«
      »Der Mann muß wahnsinnig gewesen sein«, sagte sie voller Entsetzen.
      Shane schüttelte den Kopf und entgegnete ruhig:
»Nein, er war nicht wahnsinnig. Ich glaube nicht einmal,
daß ihm das, was er da tat, persönlich Vergnügen
bereitet hat. Er war kein Sadist. Das machte alles nur noch schlimmer.
Er wirkte während der ganzen Zeit so unglaublich nüchtern und
unbeteiligt.«
      Er nahm wieder eine Zigarette, rollte sie wie
geistesabwesend zwischen den Fingern. Schließlich fragte sie:
»Und auf diese Weise wurde Simon getötet?«
      Er nahm die Zigarette zwischen die Lippen und
zündete sie an. »Ja, so war es. Er kam als erster an die
Reihe. Ich hörte die Schüsse, die draußen abgefeuert
wurden, und kurz darauf kam Colonel Li in meine Zelle und sagte, er
habe die Informationen erhalten, die er brauche. Er sagte noch, er
bedauere, daß er Simon habe erschießen lassen müssen,
aber Krieg sei nun mal Krieg. Es klang fast so, als ob er das ehrlich
meinte.«
      »Und wer hat geredet?« fragte Laura Faulkner leise.
      Während der Pause, die ihrer Frage folgte,
herrschte völlige Stille, nur der Regen klopfte wie mit
Geisterfingern gegen die Fensterscheibe. Shane wandte sich um, sein
Gesicht war unbewegt und ausdruckslos. »Um das herauszufinden,
bin ich her
    gekommen«, antwortete er.
      »Soll das heißen, daß Sie es nicht wissen?« fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.
      Er schüttelte den Kopf. »Etwa zwei Stunden
später wurde das Kloster durch amerikanische Jagdbomber
zerstört. Das war der Augenblick, in dem für mich der Vorhang
fiel.«
      Sie erhob sich von dem Diwan und
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