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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Autoren: Nuala O'Faolain
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pechschwarz wie die eines Krallenäffchens. Ich wusste, dass sie längst nicht so süß war, wie sie aussah, aber auch ich musste oft über ihre Launen und Einfälle lachen, ob ich wollte oder nicht.

    Nachdem sie sich zurechtgemacht hatte, trennte sie sorgfältig die Seite mit dem Kreuzworträtsel aus der Zeitung vom Vortag heraus und machte sich auf den Weg zum Pub, dem Kilbride Inn. Sie bevorzugte das Kreuzworträtsel vom Tag vorher, weil in der aktuellen Zeitung die Lösungen standen, das heißt, sie konnte nachsehen, wenn sie nicht mehr weiterkam. Und sie wollte auf keinen Fall, dass ich sie in den Pub begleitete.
    Warum ging sie überhaupt in den Pub?, fragte ich mich immer wieder. Sie saß dort nur mutterseelenallein an einem Tisch. Ich verstand sie nicht. Aber spielte es überhaupt eine Rolle, ob ich sie verstand oder nicht? Ich saß hier mit ihr fest, daran war nichts zu ändern. Min war für mich eine Art Mutterersatz, seit meiner Geburt. Aber es gab schließlich kein Gesetz, das vorschrieb, dass man seine Mutter verstehen musste – geschweige denn seine Tante, die diese Funktion übernommen hatte, nachdem ihre Schwester gestorben war. Und ich dachte, ohne jeden Groll, dass es Min selbst überhaupt nichts ausmachte, wenn sie mich nicht verstand. Auch sonst bemühten sich die meisten Leute gar nicht, ihre Mitmenschen zu verstehen. Solche Überlegungen waren eine krankhafte Laune der gebildeten Schichten in der westlichen Welt.
    Und doch – ich weiß noch ganz genau, wie ich diesen Gedanken hin und her drehte, als ich in der stillen Küche saß, mit Bell auf dem Schoß, die zur Abwechslung mal zufrieden schnurrte -, die Leute können es akzeptieren, dass die Partner, die sie auswählen, selbstständige Menschen sind, die sich von ihnen unterscheiden. Sie können mit jemandem schlafen, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was ihrem Liebsten oder ihrer Liebsten durch den Kopf geht. Bei mir war das jedenfalls meistens so. Und wenn ihre Frau oder ihr Mann stirbt, betrachten sie die Leiche und denken: »Ich habe diesen Menschen nie wirklich gekannt.« Aber die Frau, die einen großgezogen hat? Ich bin in
meinem Leben noch niemandem begegnet, der nicht glaubt, dass er das Recht hat, diese Frau zu kennen.
     
    Ich bezweifelte allerdings, dass mir Mins innere Welt zugänglich war. Und was wusste sie wiederum von den unzähligen und so unterschiedlichen Bildern, die mir durch den Kopf gingen, wenn ich hier am Küchentisch hockte? Gedankenversunken wanderte ich zwischen diesen Bildern hin und her. Der Strand in der Nähe von Dakar, mit den großen Krabben, die quer über den Sand zu den weißen Schaumlinien der Wellen rannten. Klick-klack machten sie, und das Wasser antwortete mit seinem Rauschen. Das Wachstuch auf dem Tisch vor einem Bauernhof in der Rigi, der Geschmack von würzigem Käse, der über ein Rührei gerieben wurde. Kinder in Flandern, die mir auf dem Weg zur Schule entgegenkamen, im Dunkeln, auf einem Damm zwischen matschigen Winterwiesen. Ihre fluoreszierenden Armbinden schimmerten in der feuchten Luft, während gespenstische Möwen auf den leeren Feldern nach Nahrung fahndeten und die Morgendämmerung sich langsam am Horizont ausbreitete. Ich konnte nichts dafür, dass diese Bilder mich einsam machten, weil ich diese Erfahrungen nicht mit ihr teilte. Es war das Leben selbst, das mich unendlich weit von ihr entfernt hatte. Aber sie war ja mindestens genauso weit weg von mir, wenn sie jetzt in den Pub trippelte, mit Gott weiß welchen Gedanken im Kopf.
     
    Meine Erinnerungen lieferten mir keinen Aufschluss darüber, welchen Weg ich jetzt einschlagen könnte, um die Zukunft besser zu meistern. Ich klappte meinen Laptop auf und besuchte die Seiten der Institutionen, von denen ich normalerweise meine Aufträge bekam – UNESCO, Overseas Aid, World Opportunity, das Europa-Parlament. Gleichzeitig verfolgte ich alle möglichen Fantasiebilder. Myanmar. Wie wär’s, wenn ich versuchen würde,
nach Myanmar zu kommen? Rangun war vermutlich die kaputte, schwülfeuchte Version einer Stadt wie Valletta in den Fünfzigerjahren. Tropisch, aber mit Uhrtürmen aus Stein und mit Blumenbeeten vor den städtischen Verwaltungsgebäuden. Britischer Lebensstil, überdeckt und verfremdet durch die drückend diesige Luft. Aber würde es mir gefallen, in Myanmar zu arbeiten? Es gab zum Beispiel auch ein Jobangebot in Adelaide. Einen Buchladen für Fremdsprachen könnte ich dort jederzeit leiten, sozusagen im Kopfstand.
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