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Dunkel

Dunkel

Titel: Dunkel
Autoren: James Herbert
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sich, warum es so dunkel geworden war, warum die Muster an der Decke verschwunden waren.
    Sie kniete auf dem Bett, eine kleine zusammengekauerte Gestalt. Susie war für eine Elfjährige klein, doch ihre Augen hatten manchmal den wissenden Blick einer viel Älteren. Zu anderen Zeiten waren sie völlig ausdruckslos. Sie zupfte methodisch am Haar ihrer Cindy-Puppe, und die silbernen Fäden fielen auf ihren Schoß. Glasgerahmte Bilder von Beatrix-Potter-Tieren blickten teilnahmslos von den blauen Wänden ihres kleinen Schlafzimmers herab und waren taub für das scharfe Knacken, als ein Plastikarm aus dem Puppenkörper gedreht wurde. Das winzige Glied prallte von Peter Rabbit ab und fiel klappernd auf den Boden. Susie zog an dem anderen Arm und warf auch ihn durch das Zimmer gegen das geschlossene Fenster. Er fiel auf ihre Spielzeugkiste unter dem Fenster und lag dort, die Hand wie flehend im Gelenk zurückgebogen.
    »Böses Mädchen, Cindy«, schalt Susie in gespieltem Ärger.
    »Du sollst am Eßtisch nicht vor dich hinstieren! Mami mag das nicht!«
    Der Gesichtsausdruck der Puppe änderte sich nicht, als ihr Bein zurückgebogen und herausgerissen wurde. »Ich habe es dir wieder und wieder gesagt, daß du nicht geziert lächeln sollst, wenn Onkel Jeremy dir was sagt! Ihm gefällt das nicht es macht ihn ärgerlich. Es macht Mami auch ärgerlich!« Das Bein löste sich mit einem schmatzenden Geräusch und wurde gegen die Tür geworfen. »Onkel Jeremy wird weggehen und Mami verlassen, wenn er verstimmt ist. Dann wird Mami mich fortschicken. Sie wird dem Onkel Doktor sagen, daß ich wieder böse gewesen bin.« Susie holte vor Anstrengung tief Luft, um das letzte Glied abzureißen, und ihr kleiner Körper entspannte sich, als ihr das gelungen war.
    »So! Jetzt kannst du nicht davonlaufen, und du kannst auch nichts Böses tun.« Susie lächelte triumphierend, aber ihr Glück währte nur Sekunden. »Ich hasse diesen Ort, Cindy! Er ist ekelhaft. Und die Ärzte und die Schwestern sind widerlich. Ich will nicht wieder dahin.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und dann verzog sich ihr Gesicht plötzlich zu einer Grimasse boshaften Ärgers. »Er ist sowieso nicht mein Onkel. Er will nur Umarmungen von Mami. Er haßt mich und er haßt meinen Papa! Warum kommt Papa nicht zurück, Cindy? Warum haßt er mich auch? Wenn er zurückkäme, würde ich nie wieder Streichhölzer anfassen, Cindy, das verspreche ich.«
    Sie drückte die gliederlose Puppe heftig und wiegte sie auf ihren Knien hin und her. »Du weißt, daß ich das nicht tun würde, Cindy? Du weißt, daß ich das nicht tun würde.« Die Puppe antwortete nicht, und Susie warf sie voller Widerwillen von sich.
    »Du antwortest mir nie, du garstiges Mädchen! Du bist nie nett zu mir.«
    Sie zerrte an dem hübschen Plastikkopf, und ihre Arme zitterten vor Anstrengung; ein Schrei ballte sich in ihre Kehle. Sie unterdrückte ihren Schrei, als der Kopf heraussprang und lachte, als sie ihn gegen das Fenster warf. Dann wurde ihr Körper steif, als der Puppenkopf von der Scheibe abprallte und über den Boden rollte. Für ein paar Augenblicke wagte sie nicht zu atmen, während sie lauschte, ob Schritte über den Korridor gestapft kämen. Sie seufzte vor Erleichterung, als kein Geräusch zu hören war. Die beiden schliefen. Er mit ihr, in Papas Bett. Der Gedanke machte sie wieder wütend. Er wollte nicht nur Umarmungen. Er machte andere Sachen. Sie wußte das, sie hatte es gehört, sie hatte zugeschaut.
    Susie sprang vom Bett herunter und schlich zum Fenster, achtete darauf, nicht auf die Spielsachen zu treten, die zerstreut im Dunkel auf dem Schlafzimmerboden lagen. Sie untersuchte die Glasscheibe, gegen die der Puppenkopf geschlagen war, fand aber keinen Sprung. Es hätte noch mehr Elend für sie bedeutet, wenn das Glas zerbrochen wäre.
    Sie preßte ihr Gesicht an das Fenster und versuchte das Düster im Garten darunter zu durchdringen. Dort verbrachte sie meistens ihre Sommertage, wenn sie nicht auf der Sonderschule war; eine Gefangene, die nicht alleine hinaus durfte. Susie konnte gerade die Kontur des Kaninchenstalles ausmachen, der ramponiert und leer war, und verstand nicht, warum man die Kaninchen weggenommen hatte. Die Kleinen waren so prächtig gewesen, so schön zum Halten und zum Drücken. Vielleicht hätte sie sie behalten dürfen, wenn sie sie nicht zu fest gedrückt hätte.
    Sie kehrte zum Bett zurück und setzte sich mit gekreuzten Beinen darauf, die Arme um ihre
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