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Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)

Titel: Düstermühle: Ein Münsterland-Krimi (German Edition)
Autoren: Stefan Holtkötter
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fort. »Dass Siegfried Alfons getötet hat? Unser Siegfried?«
    Sie war völlig verstört, und er konnte es ihr nachfühlen. Trotzdem musste er jetzt nachdenken. Alleine sein. Er beendete das Gespräch so behutsam, wie es ihm möglich war. Schließlich versprach er ihr, sich bald wieder zu melden, und legte auf.
    Er ließ sich in einen Sessel sinken. Siegfried war erst zweiundsiebzig gewesen, siebzehn Jahre jünger als Carl. Du alter Knochen, hatte er zu Carl gesagt, wenn ihm etwas nicht gepasst hatte. Seit wann ging das so, dass auch die Jungen starben? Die, die seinen Sarg hätten tragen sollen.
    Es war die Geschichte seines Lebens. Immer war er derjenige gewesen, der überlebte. Im Krieg, in der Gefangenschaft und auch danach. Selbst heute war es so. Er überlebte. Und er war allein.
    Ach, Siegfried, dachte er wehmütig. War das wirklich nötig gewesen? Diese alten Geschichten. Sie spielen doch längst keine Rolle mehr. Musstest du wirklich Rache üben, nach all den Jahren? Wem war damit Genüge getan?
    Ein Schlüssel in der Haustür, dann Geräusche im Flur. Ein Mantel wurde auf die Garderobe geworfen, eine Tasche in die Ecke gepfeffert, eiliges Umherstöckeln auf viel zu hohen Schuhen. Seine Tochter Christa war heimgekehrt. Sie hatte irgendein Meeting gehabt bei einem Kunden. Oder vielleicht war es auch eine Schulung gewesen, Carl verstand nicht viel von ihrer Arbeit. Sie hatte etwas mit Computern zu tun. Wenn er gefragt wurde, was seine Tochter arbeite, wusste er nie, ob sie nun eine Vertreterin war oder eine Computerspezialistin. Sie verkaufte Buchhaltungssoftware für mittelständische Unternehmen. Eine Vertreterin also. Aber dann fiel immer wieder das Wort »Fernwartung«, und sie verschwand nächtelang im Keller, wo sie sich ihr Büro eingerichtet hatte. Und obwohl sie zu Hause war, musste er nach den Kindern sehen und sich um alles kümmern.
    Christa arbeitete zu viel. Sie stand immer unter Strom, war ständig gehetzt. Seit ihr Exmann nach der Scheidung ins Ausland gegangen war, ernährte sie die Familie allein. Carl konnte da mit seiner kleinen Rente nicht viel beisteuern. Daher versuchte er, sie zu unterstützen, so gut es ging, indem er ihr den Rücken freihielt.
    »Hallo«, sagte sie und streckte den Kopf durch die Tür. »Hat Sandra Lütke schon angerufen? Ich sollte die Kinder vor über einer Stunde abholen, aber ich bin einfach nicht weggekommen.«
    »Nein. Noch nicht.«
    »Dann zieh ich mich schnell um und fahr los. Das war mal wieder typisch Chef: Von Buchhaltung keine Ahnung, aber muss sich in alles einmischen. Und ich sitz auf heißen Kohlen.«
    Sie verschwand im Flur. Carl hörte, wie die hochhackigen Schuhe in die Ecke flogen und Christa auf Strümpfen die Treppe hochlief.
    Siegfried. Er war sie offenbar nie losgeworden, die Geister der Vergangenheit. Davon hatte Carl nichts geahnt. Aber man konnte den Menschen eben nur bis vor den Kopf sehen. Das galt auch für Freunde. Wer wusste schon, was in dem anderen vorging? Carl sah hinaus zu den Feldern. Er spürte den Verlust. Die Welt löste sich zunehmend auf.
    Er hörte Christa draußen auf dem Flur telefonieren. »Ich kann mir schon vorstellen, wo das Problem liegt. Lassen Sie alles so, wie es ist. Ich bringe das in Ordnung, versprochen. Aber jetzt habe ich einen dringenden Termin. Ich werde mich heute Abend darum kümmern. Morgen früh wird das Programm wieder reibungslos laufen.«
    Also eine weitere Nacht im Keller, dachte Carl. Dann würde er heute wieder die Kinder ins Bett schicken und darauf achten müssen, dass sie nicht heimlich fernsahen.
    Er schloss die Augen. Vielleicht war er für einen Moment weggenickt, denn als Christa plötzlich neben ihm stand, hatte er sie gar nicht kommen hören. Sie blickte ihn erschrocken an.
    »Hast du das gehört? Das mit Siegfried Wüllenhues? Sandra Lütke hat es mir gerade am Telefon erzählt. Ich wollte ihr nur kurz Bescheid sagen, dass ich unterwegs bin.«
    Er nickte. »Inge Moorkamp hat mich vorhin angerufen.«
    »Ach, das tut mir so leid. Er war doch ein Freund von dir, oder?« Christa wirkte abgekämpft und blass. Das war die viele Arbeit. Und jetzt warteten auch noch die Kinder.
    »Nein«, sagte er. »Kein Freund, nur ein Bekannter. Er ist jeden Sonntag zum Stammtisch bei Moorkamp gegangen, aber das tun viele. Besonders gut habe ich ihn nicht gekannt.«
    Er sah ihre Erleichterung. Eine Katastrophe weniger, die sie zu stemmen hatte.
    »Trotzdem«, sagte sie. »Es tut mir leid. Wir …
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