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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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dass es wichtig ist, immer mehr wissen zu wollen.«
    »Das hier ist kein Wissen«, antwortete er, »es ist ein Verfälschen von Wissen. Und diese Bücher dürfen nicht gelesen werden.«
    »Und warum bewahrst du sie dann auf?«, fragte ich herausfordernd. »Warum hast du sie nicht einfach verbrannt?«
    Einen Moment lang runzelte er verärgert die Stirn, dann entspannte sich sein Gesicht wieder. »Ich bewahre sie auf, mein lieber, anmaßender Victor, weil sie Zeugnisse einer unwissenden und schlimmen Vergangenheit sind. Damit wir bescheiden bleiben. Und wachsam. Verstehst du das, mein Junge?«
    »Ja, Vater«, sagte ich, war aber nicht so ganz davon überzeugt. Es kam mir völlig unmöglich vor, dass all dies mit Tinte Niedergeschriebene nur Lügen enthalten konnte.
    »So, und nun kommt mit, weg von diesem dunklen Ort«, sagte er zu uns. »Am besten sprecht ihr mit niemandem darüber – besonders nicht mit euren kleinen Brüdern. Die Treppe ist schon gefährlich genug, und ihr wisst ja nun, welche Risiken die Tür birgt.« Er blickte uns sehr ernst an. »Und versprecht mir, dass ich euch nicht noch einmal hier finde.«
    »Ich verspreche es«, sagten wir drei fast gleichzeitig. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich der seltsamen Verlockung dieser Bücher lange widerstehen könnte.
    »Ausgezeichnet. Und, Victor«, fügte er mit einem leicht ironischen Lächeln hinzu, »es ist schön, dich wieder auf den Beinen zu sehen. Und jetzt, wenn ich mich nicht irre, ist es langsam an der Zeit, dass wir das Essen für die Dienerschaft zubereiten.«
    »Das ist jetzt bestimmt genug«, brummte ich und warf eine weitere geschälte Kartoffel in die gehäuft volle Schüssel.
    »Noch ein paar mehr, denke ich«, sagte Konrad, der fleißig weiterschälte. Er blickte zu Ernest, der neben uns an dem langen Tisch saß und mit vor Konzentration gerunzelter Stirn eine Kartoffel bearbeitete. Er ähnelte Konrad und mir überhaupt nicht. Er kam nach unserer Mutter mit ihren blonden Haaren und den großen blauen Augen.
    »Denk dran, das Messer immer von dir wegzuführen«, sagte Konrad sanft. »Du willst dir doch nicht in die Hand schneiden. Gut, genau so.«
    Ernest strahlte bei Konrads Lob. Der Junge vergötterte ihn geradezu.
    Ich warf noch eine weitere Kartoffel in die Schüssel und sah mich dann in der geschäftigen Küche um. Mutter und Elizabeth bereiteten den Schinken zu und unterhielten sich dabei vergnügt mit ein paar von den Mädchen. Mutter wurde von der gesamten Dienerschaft verehrt. Sie war rund zwanzig Jahre jünger als Vater und sehr schön mit ihren dichten blonden Haaren und offenen, freundlichen Augen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie jemals mit irgendeinem von unserer Dienerschaft in scharfem Ton gesprochen hätte.
    Am anderen Ende des Tisches schnitt mein Vater Pastinaken und Möhren für die Gemüsepfanne und sprach dabei mit Schultz, seinem Butler seit fünfundzwanzig Jahren, der gerade von unserem besten Sherry trank, während mein Vater arbeitete.
    Unser Haus war schon etwas Besonderes.
    Die Stadt Genf war eine Republik. Es gab keinen König, keine Königin oder einen Prinzen, die uns beherrschten. Wir wurden vom Rat der Stadt regiert, den die männlichen Bürger wählten. Wir hatten Diener, wie es bei allen wohlhabenden Familien der Fall war, doch sie waren die bestbezahlten in Genf und hatten reichlich Freizeit. Sonst wären sie, wie Vater sagte, kaum besser dran gewesen als Sklaven. Nur weil sie nicht unseren Reichtum und unsere Ausbildung hatten, waren sie nicht geringer als wir.
    Unsere beiden Eltern wurden von vielen Leuten als übermäßig liberal angesehen.
    Liberal bedeutete unvoreingenommen.
    Liberal bedeutete, an jedem Sonntagabend das Abendessen für unsere Dienerschaft zuzubereiten.
    »Die Situation in Frankreich, Herr, ist schrecklich«, sagte Schultz gerade zu meinem Vater.
    »Es ist abscheulich, welchen Terror die Massen verbreiten«, stimmte Vater zu.
    »Glauben Sie jetzt immer noch, dass die Revolution eine so gute Sache ist?«, fragte Schultz in seiner offenen Art, und ich sah, wie alle anderen in der Küche still wurden, herübersahen und auf die Antwort ihres Herrn warteten.
    In Frankreich waren die Königin und der König geköpft worden, und nun wurden die Landbesitzer mitten in der Nacht aus ihren Betten gezerrt, eingesperrt und hingerichtet – alles im Namen der Revolution. Auch ich beobachtete Vater und fragte mich, wie weit seine Liberalität reichen würde.
    »Ich habe immer noch die
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