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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman
Autoren: Franz Kabelka
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ist nicht simuliert. Sie genießt das Schneiden tatsächlich. Ruht in sich, wie ein Mensch nur in sich ruhen kann im Augenblick des Genusses. Frau Karners Leitsatz kommt ihm wieder in den Sinn:
In meinem Alter muss man lernen, das Weinen zu genießen. Sonst bleibt nicht viel übrig …
    Sind die Blutstropfen ein Ersatz für Marie Thereses versiegte Tränen? Wie letzte Sonnenstrahlen setzen sie den weißen Bettüberzug in Flammen.
    „Mach nur weiter so, immer weiter. Es tut dir ja richtig gut, oder?“
    Er erschrickt über sich selbst. Was hat ihm nur diese Worte in den Mund gelegt?
    Sie schleudert die nassen Haare aus der Stirn, blickt ihn an wie eine Sphinx. „Genau“, sagt sie ungerührt und knöpft sich das andere Handgelenk vor.
    Wieder setzt sie die Klinge an. Zieht langsam durch, ohne zu zucken. Dann streckt sie ihm die blutüberströmten Arme vors Gesicht. Direkt unter seine Nase.
    „Das ist es, was ich so wunderbar finde, Willie: Wie der Mensch sich anpasst. Die Traurigkeit nach dem Liebesakt ist ja bekannt, darauf ist man vorbereitet. Aber die Traurigkeit ohne Liebe … Sie kann nur mit Blut weggewaschen werden. Schau, wie es rieselt, in deinen Schoß. Auf deinen Schwanz. Na, wie sieht es aus: Steht er dir schon?“
    Ihr Lachen könnte von einem jungen Mädchen stammen, dem soeben die erste Zote entschlüpft ist. Scheinbar schamhaft schlägt sie eine Hand vor den Mund.
    „Aber nein, ich weiß, ich lasse den Herrn Chefinspektor kalt. Was macht das bisschen Blut einem wie ihm schon aus. Hat oft genug Blut gesehen, der Bulle. Gewöhnung härtet ab, nicht wahr?“
    So leise die Frage auch gestellt wurde, so viel geronnenes Herzblut hängt an ihr.
    „Komm, sag was! Was jetzt, was jetzt, Willie? Wenn alles sonst den Bach runtergeht, ist da immer noch meine Geschichte … Nein, sag nichts, ich kann dich gut verstehen. Vollkommen. Blut ist nur so lange ein besonderer Saft, als es nicht kübelweise verschüttet wird.“
    Besonders oder nicht: Es rinnt unvermindert heftig aus ihren Schnittwunden. Tropft auf seinen seidenen Pyjama, den er sich extra für den Klinikaufenthalt gekauft hat. Der dünne Stoff kommt mit dem Aufsaugen gar nicht nach. Hagen spürt die Feuchtigkeit auf seiner Haut. Die warme Feuchte ihres Blutes. Wie pervers intim doch die Situation ist! In der Gegend seines Sonnengeflechts krampft sich etwas zusammen.
Steht er dir schon?
Das sagt man nicht zu einem Mann – nicht mit einem Cutter in der Hand!
    Ihr Ritzen hat in ihm wieder etwas hervorgerufen, auf das er gerne verzichtet hätte. Selbst in der Therapie hat er die Szene lange genug verdrängt: zerfetzte Körperteile, in einer grauenhaften Panier aus Blut und Dreck; blanke Knochen und sauber abgetrennte Gliedmaßen beiderseits der Schienen; und lose Klumpen von Fleisch, Hirn und Gedärm, die sich nicht zuordnen lassen. Keinem menschlichen Wesen und schon gar nicht zwei Kollegen und einem Leichenbestatter, die man als Lebende gekannt hat. Soll er ihr davon erzählen? Soll er ihr sagen, wie sehr er wünschte, so abgebrüht zu sein, wie sie es ihm unterstellt?
    Von den gebrochenen Augen Lisas gar nicht zu reden …
    Er kommt nicht dazu, dem Gespräch eine neue Wendung zu geben.
    „Kannst du mich spüren?“
    Ist das jetzt wieder ein Zitat oder was?
    „Ja“, sagt er vorsichtshalber, „ja, ich kann dich spüren. Und du, was spürst du?“
    „Ihr Bullen könnt das Ausfragen nie lassen, wie? Selbst in eurer letzten Stunde müsst ihr noch ein Verhör anstellen. Wozu? Um euer Wissen mit ins Grab zu nehmen? Was ändert sich dadurch?“
    Sie fuchtelt mit der blutigen Klinge vor seiner Nase herum. Aber mehr als mit dieser Gebärde droht sie ihm mit ihrem Lachen. Es zieht ihre Lippen unnatürlich in die Breite, wie bei einem Clown. Ihre Augen lachen nicht mit, und die Farbe ihrer Iris lässt sich nicht bestimmen. Changiert zwischen grün, blau und grau. Wie das Meer, je nach Lichteinfall und Wolkenstand, betrachtet vom Gipfel eines westirischen Berges.
    Ihr Mund wird wieder ganz klein, zugespitzt zu einem höhnischen Küsschen.
    „Ein letzter Wunsch ist ein letzter Wunsch“, meint sie gönnerhaft. „Ich werde dir deine Frage beantworten, wie du die meine. Quid pro quo, du kennst ja die Spielregeln.“
    Er hat ihr Spiel satt, ausgesprochen satt. Aber den Zeitgewinn, der damit verbunden ist, darf man nicht unterschätzen; jetzt, wo er den Knoten bereits ein wenig gelockert hat. Er nickt.
    „Gut“, sagt sie, „dann will ich dir Folgendes
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