Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman
Autoren: Franz Kabelka
Vom Netzwerk:
das Bewusstsein verloren.
    *
    Etwas Schweres drückt ihn auf den Bauch. In seinem Mund ein süßlicher Geschmack.
    Sie liegt quer über ihm, zusammen bilden ihre Körper ein verzogenes Kreuz. Blut überall, sogar in sein Ohr ist es gesickert. Er spuckt aus und hustet. Endlich bekommt er seine Linke frei, Sekunden später die Rechte.
    Ihre Hand scheint nur noch am Gelenk zu hängen. Er reißt die Strümpfe vom Bettgestell, schlingt sie um die klaffende Wunde.
    Dann fällt ihm ein, dass er noch gar nicht um Hilfe geschrien hat.

30 E PILOG
    Prader nimmt die Armbanduhr ab und schleudert sie weit von sich. Lautlos verschluckt sie das hohe Moorgras.
    „Hätte ich sie ins Wasser geworfen, mein Zeiteisen hätte wenigstens noch einen letzten Wirbel veranstaltet“, sagt er grinsend und dreht sich um zu seinem Gefährten.
    Hagen hat längst aufgehört, sich über Prader zu wundern. Am selben Tag, als er seinen Koffer aus dem
Sonnblick
hinausgetragen hat, hat er ihm, der die Klinik schon eine Woche zuvor verlassen hatte, eine SMS gesandt:
    Kenne ein Land, wo die Sonne garantiert nicht zu viel scheint. Kommst mit?
    Kaum hatte er die Botschaft abgeschickt, piepste es.
Geritzt!
, stand auf dem Display. Wie immer ein bisschen grenzwertig, die Scherze des Kabarettisten. Fünf Minuten später hatte Hagen bereits die telefonische Zustimmung von Ender eingeholt, an seinen
Fronturlaub
in Bad Krummau noch eine Woche echten Urlaub anhängen zu dürfen. Nimm doch gleich vierzehn Tage, schlug der Major vor. Nicht nötig, antwortete Hagen, ausgespannt habe er genug. Er müsse nur noch eine Sache zu Ende bringen.
    In der Klinik hatte, bedingt durch Personalrochaden, zuletzt noch ziemliche Hektik geherrscht. Dr. Selzer war über Nacht zum interimistischen Chefarzt befördert worden. Es hieß, Dr. Sachs hätte woanders eine
neue berufliche Herausforderung
gesucht und auch gefunden; mehr war für einen einfachen Klienten nicht zu erfahren. Eigenartig nur, dass der sonst so eitle Sachs nicht einmal offiziell verabschiedet worden war.
    Sie stehen auf dem Gipfel, der eigentlich keiner ist, nicht nach alpenländischer Definition. Hagen zieht die salzige Luft tief in seine Lungen. Der Wind hat sich gelegt, die Sonne steht hoch. Gegen Westen hin blinkt und glitzert es wie in einem Kaleidoskop: Hunderte Tümpel, Teiche und Seen erstrecken sich vom Fuß des Binn Dubh bis zum silbernen Teppich dahinter. Connemara und Atlantik – eine verdammte Postkartenidylle.
    Prader hatte ihm vorgeschlagen, die Reihenfolge zu ändern. Zuerst zur Unglücksstelle, danach auf den Gipfel.
    „Ob das einen Unterschied macht?“
    Jetzt erkennt er, dass es einen Unterschied macht, einen ganz gewaltigen sogar. Es ist wie bei der rituellen Frage: Welche Nachricht willst du zuerst hören – die gute oder die schlechte? Du musst immer die schlechte vorziehen! Denn das, was zuletzt kommt, prägt sich tiefer ein.
    „Und du willst wirklich hier bleiben, Ernst? In diesem verregneten Land?“
    „Ja. Ganz im Ernst.“
    Sie sehen einander still an. Mit über fünfzig noch ein neuer Freund … Ist das nicht ein schlagender Beweis, dass es Wunder gibt? Und das sagt er, der alte Agnostiker!
    Zurück nehmen sie die lange Route. Den Pfad, auf dem er mit Lisa aufgestiegen ist. Weit drüben, unter den aufziehenden Nebelschwaden, erkennt er den Moorgraben, in den er vor zwei Stunden den Strauß Rosen geworfen hat. Was offen ist, will abgeschlossen werden.
    „Und Marie Therese?“
    „Sie ist nicht verblutet. Jedenfalls nicht äußerlich.“
    Er hat sie nicht wieder gesehen. Zu schnell wurde sie nach ihrer Verzweiflungstat auf die Psychiatrie verlegt.
Schleim dich nur weiter so durchs Leben …
Diesen Pflock, den sie ihm in die Brust gerammt hat, trägt er noch immer mit sich herum. Auch wenn Dr. Grein ihm zu erklären versuchte:
Schleimen
bedeutet für Marie Therese soviel wie Kompromisse eingehen, und Kompromisse sind für Menschen wie sie identisch mit Niederlagen.
    Marie. Therese. Verzweiflung. Tat.
    Hat er jemals, wenn er das Wort
Verzweiflungstat
ins Polizeiprotokoll tippte, nur annähernd begriffen, welch abgrundtiefer Zweifel an der Welt tatsächlich hinter einer jeden solchen Tat steckt? Auch wenn er sich verbirgt hinter einem noch so ironischen Lächeln, hinter einem noch so klugen Zitat?
    Er springt. Springt talwärts über Moorgräben und Ginsterbüsche, über Heidekraut und loses Gestein. So schnell, dass Prader ihm kaum folgen kann. In der Ferne das rote Dach ihres
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher