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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman
Autoren: Franz Kabelka
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gesehen.
    *
    Oberarzt Selzer, die Ärztinnen Grein und Mickl, Sigrid Bayer und drei weitere Therapeutinnen, außerdem noch zwei Pfleger. Alles wartet auf den einen, wie immer. Seine Bedeutung in Zeit und Raum weiß Dr. Sachs zu inszenieren wie kein anderer.
    Holger Kranz, der ältere der Pfleger, versucht das Warten mit einer seiner üblichen Stationsanekdoten zu verkürzen.
    „Seit seinem unglücklichen Sturz in der Duschkabine ist unser lieber Alfons wirklich schwer bedient. Egal, was du ihn fragst, er hat nur eine Antwort für dich: Schamlippen, Po. – Möchten Sie, dass ich Ihnen beim Anziehen helfe, Herr Weiland? – Schamlippen, Po. – Oder vielleicht einen heißen Tee? – Schamlippen, Po. – Aber heute hab ich endlich erfahren, was sich in seinem ramponierten Hinterkopf als Letztes eingebrannt haben muss. Da hat er mir beim Haarewaschen triumphierend ein Fläschchen hingehalten und mit dem Finger auf das Fettgedruckte gezeigt. Schamlippen, Po!, hat er ganz aufgeregt gerufen. Und was glaubt ihr, was dort stand?“
    Keiner errät die Antwort.
    „Schuppenshampoo“, grinst Kranz, „Schuppenshampoo! In dem Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen.“
    Sigrid hat die Pointe nicht mitbekommen. Aber ihr ist im Moment auch ganz und gar nicht danach zumute. Ihr schlägt das Herz bis zum Hals.
    Soll sie, oder soll sie nicht?
    Sie beobachtet den Oberarzt. Hat Guido ihn bereits eingeweiht? Selzer hockt neben dem Stuhl, der für Sachs reserviert ist, und lächelt wie alle anderen über die Geschichte des Pflegers. Blickkontakt zu ihr hat er bislang keinen aufgenommen. Wenn er etwas weiß, versteht er es jedenfalls gut zu verbergen.
    Als Sachs den Raum betritt, wird es augenblicklich still. Der Chefarzt begrüßt die Runde und entschuldigt sich für seine Verspätung mit der Standardausrede: Ein wichtiger Anruf, man wisse schon; aber jetzt in medias res …
    Wolfgang Laub wird als Erster verhandelt. Sein Gesundheitszustand sei zufriedenstellend, die Absprachefähigkeit wieder gegeben. Niemand erhebt einen Einwand dagegen, ihn im Haus zu behalten. Der Chefarzt merkt an, dass das bereits der vierte Suizidversuch in diesem Jahr war, eine unerfreuliche Steigerung der Rate. Zum Glück sei auch dieser Fall glimpflich ausgegangen, aber man werde gerade in der Gesprächsgruppe noch mehr Vorsicht walten lassen müssen. Dr. Mickl fühlt sich angesprochen und gesteht Fehler ihrerseits ein. Sachs stellt eine noch intensivere Supervision in Aussicht, dann wendet man sich dem nächsten Patienten zu.
    Es geht flott voran. Nach eineinhalb Stunden ist das Ende der Teamsitzung absehbar. Sigrid wetzt unruhig auf ihrem Sessel hin und her. Sie hat den Blick von Westhäußer durchaus verstanden: Wenn nicht heute – wann dann? Aber sie scheut davor zurück, es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen. Reicht es nicht, dass sie sich bei Guido ausweinen konnte, dass sie jetzt schon viel entspannter ist?
    „Last not least“, sagt Sachs: „Marie Therese Herbst.“
    Man möge sich in Erinnerung rufen: eine multiple Persönlichkeit, die sich mit ihrer Rolle als Opfer identifiziere und ihr Leiden vor sich hertrage wie ein Banner! Dabei weise ihre Familiengeschichte nicht die klassischen Traumata auf. Kein sexueller Missbrauch etwa, wie dies bei siebzig Prozent der Borderlinepatientinnen der Fall sei. Allerdings sei sie ausgestattet mit überdurchschnittlicher Intelligenz und der ausgeprägten Fähigkeit, ihr Umfeld über ihre wahre Verfassung zu täuschen. Dem sei es wohl auch zuzuschreiben, dass sie es lange Zeit verstanden hatte, unauffällig zu bleiben und – untypisch für Borderliner – eine Ausbildung abzuschließen. Erst mit dem Scheitern ihrer Ehe seien die Probleme für alle sichtbar geworden, und ihre Aggression führte zu den bekannten Ergebnissen: Suizidversuche, Entzug der Obsorge, das obligate Schneiden …
    Beim Wort
Missbrauch
ist Sigrid zusammengezuckt. Aber Sachs ist noch nicht fertig.
    „Dass sich das aggressive Verhalten von Frau Herbst in unserer Klinik noch dramatisch gesteigert hat, davon kann mittlerweile auch ich ein Lied singen“, verkündet er. „Ihre Stabilisierung ist, wir müssen es uns eingestehen, leider nicht geglückt. Besser, ich hätte auf Sie gehört und diese Dame schon vor einer Woche aus der Klinik verwiesen.“
    Allgemeines Staunen macht sich breit, als Sachs erzählt, dass die Patientin nicht einmal davor zurückschreckte, ihn tätlich anzugreifen. Und mit größter Wahrscheinlichkeit
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