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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition)
Autoren: James Joyce
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machen, aber er war nicht zu finden. In jeder Ecke und Ritze haben sie nach ihm gesucht, und nirgends konnten sie ihn entdecken. Da hat dann der Küster vorgeschlagen, in der Kapelle nachzusehen. Da haben sie die Schlüssel geholt und die Kapelle aufgeschlossen, und der Küster und Father O’Rourke und noch ein Priester, der gerade da war, nahmen eine Kerze und suchten nach ihm ... Und was soll ich Ihnen sagen: Da war er, allein im Finstern in seinem Beichtstuhl, hellwach und als ob er still in sich hineinlachte.
    Sie brach unvermittelt ab, wie um zu lauschen. Auch ich lauschte, aber es gab kein Geräusch im Haus, und ich wusste, dass der alte Priester still in seinem Sarg lag, so wie wir ihn gesehen hatten, feierlich und grimmig im Tode, auf seiner Brust ein leerer Kelch.
    Eliza fuhr fort:
    – Hellwach und als ob er still in sich hineinlachte ... Und dann, natürlich, als sie das sahen, da sind sie auf den Gedanken gekommen, dass mit ihm irgendwas nicht mehr stimmte ...

E INE B EGEGNUNG
    Es war Joe Dillon, der uns mit dem Wilden Westen bekannt machte. Er hatte eine kleine Bibliothek, die aus alten Ausgaben von The Union Jack , Pluck und The Halfpenny Marvel * bestand. Jeden Abend nach der Schule trafen wir uns bei ihm im Garten hinter dem Haus und trugen dort Indianerkämpfe aus. Er und sein dicker jüngerer Bruder Leo, der Faulenzer, verteidigten den Dachboden über dem Stall, während wir anderen ihn im Sturm zu erobern versuchten; oder wir lieferten uns eine heftige Schlacht auf dem Rasen. Aber so gut wir auch kämpften, wir gewannen niemals eine Belagerung oder eine Schlacht, und alle unsere Gefechte endeten mit Joe Dillons Kriegstanz des Siegers. Seine Eltern gingen an jedem Morgen zur Acht-Uhr-Messe in der Gardiner Street, und der friedliche Duft Mrs Dillons beherrschte die Diele des Hauses. Aber er spielte zu ruppig für uns, die jünger und ängstlicher waren. Er sah wirklich einem Indianer ähnlich, wenn er, auf dem Kopf einen alten Teewärmer, im Garten Bocksprünge vollführte, mit seiner Faust auf eine Blechdose einschlug und brüllte:
    – Ya! yaka, yaka, yaka!
    Keiner konnte es glauben, als berichtet wurde, er fühle sich zum Priester berufen. Doch es war wahr.
    Ein Geist der Aufsässigkeit breitete sich unter uns aus, und unter seinem Einfluss wurden Unterschiede der Bildung oder des Temperaments ausgeblendet. Wir rotteten uns zusammen, manche aus Mut, manche aus Spaß undmanche fast aus Furcht: Und von dieser letzteren Schar, den widerwilligen Indianern, die fürchteten, für streberhaft oder schwächlich gehalten zu werden, war ich einer. Die Abenteuer, die in der Literatur des Wilden Westens erzählt wurden, waren meinem Wesen sehr fremd, aber immerhin öffneten sie Tore zur Flucht. Mir gefielen manche amerikanischen Detektivgeschichten besser, in denen ab und zu verwilderte leidenschaftliche und schöne Mädchen umherstreiften. Obwohl an diesen Geschichten nichts auszusetzen war und obwohl sie zuweilen literarische Ansprüche erhoben, wurden sie in der Schule nur heimlich herumgereicht. Eines Tages, als Father Butler uns gerade vier Seiten römische Geschichte abfragte, wurde der unbeholfene Leo Dillon mit einem Heft des Halfpenny Marvel erwischt.
    – Diese Seite oder diese? Diese? Also los, Dillon, steh auf! Kaum war der Tag ... Weiter! Welcher Tag? Kaum war der Tag angebrochen ... Hast du es gelernt? Was hast du da in der Tasche?
    Jedem klopfte das Herz, als Leo Dillon das Heft herausgab, und jeder setzte eine Unschuldsmiene auf. Father Butler blätterte stirnrunzelnd.
    – Was ist das für ein Schund?, fragte er. Der Häuptling der Apachen! Und so was liest du, anstatt deine römische Geschichte zu lernen! Lass mich nie wieder etwas von diesem erbärmlichen Zeug in diesem College * finden! Der Mann, der das geschrieben hat, ist wahrscheinlich irgendein erbärmlicher Schreiberling, der so etwas für ein Glas Bier hinschmiert. Ich muss mich wundern, dass Jungen wie ihr, gebildete Jungen, solchen Schund lesen. Ich könnte es verstehen, wenn ihr Schüler der ... der National School * wärt. Also, Dillon, ich rate dir eindringlich, mach dich an deine Arbeit, sonst ...
    Diese Rüge während der nüchternen Schulstunden ließ viel vom Glorienschein des Wilden Westens für mich verblassen,und Leo Dillons verstörtes, pausbäckiges Gesicht weckte in mir eines von meinen Gewissen. Doch wenn die Schule mit ihrem zügelnden Einfluss etwas ferner war, setzte erneut der Hunger ein nach wilden
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