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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition)
Autoren: James Joyce
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Niemand hätte gedacht, dass er eine so schöne Leiche abgeben würde.
    – Das ist wahr, sagte meine Tante.
    Sie nippte ein wenig kräftiger an ihrem Glas und sagte:
    – Nun, Miss Flynn, jedenfalls muss es ein großer Trost für Sie sein, zu wissen, das Sie alles für ihn getan hatten, was Siekonnten. Sie waren beide sehr gut zu ihm, das muss man sagen.
    Eliza glättete ihr Kleid über ihren Knien.
    – Ach, der arme James!, sagte sie. Gott weiß, dass wir alles getan haben, was wir konnten, so arm, wie wir sind – wir wollten es ihm an nichts fehlen lassen, solange er noch da war.
    Nannie hatte den Kopf an das Sofakissen gelehnt und schien gleich einzuschlafen.
    – Arme Nannie, sagte Eliza und sah sie an, sie ist ganz fertig. All die Mühen, die wir hatten, sie und ich, die Leichenwäscherin zu holen und ihn aufzubahren und dann den Sarg und dann die Messe in der Kapelle zu bestellen. Wenn Father O’Rourke nicht gewesen wäre, ich weiß nicht, was wir gemacht hätten. Er war’s, der uns all die Blumen und die zwei Kerzenleuchter da aus der Kapelle mitgebracht und die Anzeige für den Freeman’s General geschrieben und sich um die Papiere für den Friedhof gekümmert hat und um die Versicherung unseres armen James.
    – War das nicht nett von ihm?, sagte meine Tante.
    Eliza schloss die Augen und schüttelte langsam ihren Kopf.
    – Ach, es geht eben nichts über alte Freunde, da kann man sagen, was man will, sagte sie. Auf die anderen ist kein Verlass.
    – Da haben Sie Recht, sagte meine Tante. Und ich bin sicher, jetzt, wo er seinen ewigen Lohn erhält, wird er Sie nicht vergessen und alles, was Sie ihm Gutes getan haben.
    – Ach, der arme James!, seufzte Eliza. Er war für uns keine große Last. Nie hat man im Haus mehr von ihm gehört als jetzt. Aber ich weiß, er ist von uns gegangen in den ...
    – Wenn erst alles vorüber ist, wird er Ihnen fehlen, sagte meine Tante.
    – Ich weiß schon, sagte Eliza. Ich werde ihm nie mehr seine Tasse Fleischbrühe hineintragen, und Sie, Ma’am, werden ihm keinen Schnupftabak mehr schicken. Ach, armer James!
    Sie schwieg, als hielte sie Zwiesprache mit der Vergangenheit, und dann sagte sie listig:
    – Ich muss sagen, in letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass irgendwas Sonderbares an ihm war. Jedes Mal, wenn ich ihm seine Suppe brachte, lag sein Brevier auf dem Boden, und er weit zurückgelehnt in seinem Sessel und mit offenem Mund.
    Sie legte einen Finger an die Nase und runzelte die Stirn. Dann fuhr sie fort:
    – Und trotzdem hat er immer wieder gesagt, noch ehe der Sommer vorbei sei, würde er sich an einem schönen Tag aufmachen, um das alte Haus drunten in Irishtown wiederzusehen, wo wir alle geboren sind, und mich und Nannie würde er mitnehmen. Wenn wir doch mal eins von diesen neumodischen Fahrzeugen kriegten, die keinen Lärm machen, von denen ihm Father O’Rourke erzählt hat, mit rheumatischen Reifen * , billig für einen Tag – hat er gesagt, von Johnny Rush nebenan, und wir drei zusammen an einem Sonntagabend hinfahren könnten. Das hatte er sich in den Kopf gesetzt ... Armer James!
    – Möge der Herr seiner Seele gnädig sein!, sagte meine Tante.
    Eliza holte ihr Taschentuch hervor und wischte sich damit die Augen. Dann steckte sie es wieder in ihre Tasche und starrte eine Zeit lang auf die leere Feuerstelle, ohne ein Wort zu sprechen.
    – Er war immer viel zu gewissenhaft, sagte sie. Die Pflichten des Priesteramts waren zu viel für ihn. Und dann wurde sein Leben ja sozusagen durchkreuzt.
    – Ja, sagte meine Tante, er war ein enttäuschter Mann. Das hat man ihm angemerkt.
    Ein Schweigen ergriff Besitz von dem kleinen Zimmer, und in seinem Schutz näherte ich mich dem Tisch, trank etwas von meinem Sherry und ging dann leise zu meinem Stuhl in der Ecke zurück. Eliza schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein. Wir warteten höflich, dass sie das Schweigen bräche, und nach langer Zeit sagte sie langsam:
    – Es war dieser Kelch, den er zerbrochen hat ... Damit fing es an. Natürlich, man sagt, es war nicht schlimm, es war ja nichts drin, meine ich. Aber trotzdem ... Man sagt, es war der Fehler des Jungen. Aber der arme James war ja so unsicher * , der Herr erbarme sich seiner!
    – Ach, das war es also?, sagte meine Tante. Ich hörte etwas ...
    Eliza nickte.
    – Das hat sein Gemüt angegriffen, sagte sie. Von da an war er ganz trübselig, hat mit keinem mehr geredet und ist ganz allein herumgewandert. Eines Nachts sollte er einen Hausbesuch
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