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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst
Autoren: Dan Wells
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nicht«, erwidere ich. »Was passiert, wenn jemand sie abgezogen hat, damit sie bei der Evakuierung helfen? Oder wenn sie etwas falsch verstanden haben? Wir müssen Wachen aufstellen, und es muss jemand sein, dem ich vertraue. Kann ich Ihnen vertrauen?«
    »Natürlich, Doktor.«
    »Dann gehen Sie.«
    Sie wendet sich um, hält inne und legt mir eine Hand auf den Arm. »Doktor?«
    »Ja?«
    Sie zögert, tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ist es vorbei?«
    »Ich … ich weiß es nicht.«
    »Es gab Menschen, bei denen ich lebte.«
    »Ihre Familie?«
    »Nicht meine.« Sie runzelt die Stirn und blickt an sich hinab, dann hebt sie die Schultern. »Ihre.« Ich starre sie an. Abermals bewegt sie sich unsicher. »Werde ich sie wiedersehen?«
    Ich weiß nicht, was ich ihr antworten soll. »Möchten Sie das denn?«
    Sie schürzt die Lippen, sucht nach den richtigen Worten. Schließlich setzt sie zum Sprechen an, hält inne, setzt noch einmal an, unterbricht sich erneut. Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter und spüre das elektrische Summen der Verwirrung.
    »Passen Sie auf das Tor auf.«
    Sie nickt und geht. Ich sehe ihr nach und überlege, was sie gemeint haben könnte, aber dazu ist keine Zeit – bald werden sie Ellie finden, ob sie nun hinter einer verschlossenen Tür liegt oder nicht, und dann suchen sie mich. Ich bahne mir durch das Chaos einen Weg zum Heim und rüttle an der Tür. Sie ist verschlossen. Anscheinend gibt es sogar innerhalb der Sekte Geheimnisse. Ich gehe zur Rückseite des Hauses, entdecke im Schatten eine Hintertür und schlage mit dem Ellbogen ein Fenster ein. Größere Scherben fallen zu Boden und zerspringen in tausend Stücke. Vorsichtig greife ich hin­ein und drehe den Knauf.
    »Da ist er! Der Wellnesskiller!«, ruft jemand in einiger Entfernung. Man hat Ellie entdeckt. Zähneknirschend öffne ich die Tür; vielleicht gibt es im Innern des Hauses eine Waffe, mit der ich mich verteidigen kann. Ich trete ein und schließe die Tür hinter mir.
    Nun stehe ich in der ehemaligen Küche eines kleinen Landhauses, die inzwischen offenbar ganz anderen Zwecken dient. An den Wänden hängen Karten. Eine Lücke in der Anrichte, die wahrscheinlich für den Herd vor­gesehen war, ist mit Akten aufgefüllt. Der große Tisch in der Ecke ist mit Papieren überhäuft. Ich versuche, einige davon zu lesen, doch es ist zu dunkel. Auf der Anrichte stehen Lampen, aber es ist wohl besser, nicht aufzufallen und kein Licht zu machen. Deshalb nehme ich einen Papierstapel, trete ans Fenster, ziehe den Vorhang zurück und lese im Mondlicht. Es sind Dokumente für das Finanzamt, Geburtsurkunden, Arbeitsverträge für Sektenmitglieder, die bei der Regierung, bei der Polizei, im medizinischen Dienst und beim Militär beschäftigt sind. Vanek steht in einer Ecke im Schatten und beobachtet mich. Ich halte die Papiere hoch.
    »Was ist das?«
    »Bezahlte Arbeit.«
    »Aber die Farm kann sich doch inzwischen selbst versorgen«, wende ich ein, während ich die Dokumente durchblättere. »Ihre Mitglieder treten die Jobs aus anderen Gründen an. Wie Brandon, der Chemikalien für die Zyankaliherstellung gestohlen hat. Oder Nick, der mich in Powell im Auge behalten sollte.« Ich ziehe ein Blatt heraus. »Man hat sogar einen Stadtrat übernommen – er hat mitgeholfen, die Farm autark zu machen.« Ein weiteres Blatt. »Ein Polizeibeamter, der die Sekte beschützt hat.« Ein anderes Dokument. Ich halte es ans Licht und tippe mit dem Finger darauf. »Einer arbeitet bei den Versorgungsbetrieben, aber … das ist nicht mehr nötig. Die Kinder der Erde fördern selbst genug Wasser.«
    »Wasser ist das Einzige, wofür wir noch bezahlen.«
    »Wozu wurde dann der Brunnen gebohrt?«
    »Brunnenwasser ist viel sauberer, meinen Sie nicht auch?« Er lächelt kalt. »Man weiß doch nie, was in der Wasserversorgung der Stadt so alles herumschwimmt.«
    Das ist es also. »Zyankali. Das gekaufte Wasser fließt weiterhin durch die Leitungen der Farm und wird mit Zyankali versetzt.«
    »Noch nicht.« Er schüttelt den Kopf. »Erst müssen wir völlig sicher sein, dass es nicht uns selbst trifft.«
    »Und dann sollen alle Einwohner der Stadt getötet werden.«
    »Nur die Einwohner der Stadt? Bitte, Michael, etwas mehr Ehrgeiz dürfen Sie uns ruhig zutrauen.«
    Ich schlucke schwer. »Phase vier.«
    Vanek schweigt sich aus.
    »So viele Leute haben Sie nicht«, erwidere ich. »So lange sind Sie noch nicht dabei.«
    »Phase eins begann bereits Anfang der
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